Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
wenig, wenn man nicht wusste, wo das Ufer war.
Ich wusste noch nicht einmal, wo oben und unten war.
Das wütende Wasser war in allen Richtungen schwarz, es gab kein Licht, das mich an die Oberfläche geführt hätte. Im Wettstreit mit der Luft war die Schwerkraft mächtig, den Wellen jedoch hatte sie nichts entgegenzusetzen – ich spürte nicht, dass es mich nach unten zog oder dass ich in irgendeine Richtung sank. Nur das Donnern der Strömung, die mich rundherum schleuderte wie eine Stoffpuppe.
Ich zwang mich, die Luft anzuhalten, den Mund nicht zu öffnen, damit das letzte bisschen Sauerstoff nicht entweichen konnte.
Es überraschte mich nicht, wieder Edwards Stimme zu hören. Das war er mir schon schuldig angesichts der Tatsache, dass ich dabei war zu sterben. Was mich überraschte, war die Tatsache, dass ich mir dessen so sicher war. Ich würde ertrinken. Ich ertrank gerade.
»Schwimm weiter!«, flehte Edward eindringlich in meinem Kopf.
Wohin? Um mich herum war nur Finsternis. Ich konnte nirgendwohin schwimmen.
»Reiß dich zusammen!«, befahl er. »Wehe, du gibst jetzt auf!«
Meine Arme und Beine wurden taub vom kalten Wasser. Die Schläge der Wellen spürte ich nicht mehr so sehr wie zuvor. Jetzt war es eher ein Schwindelgefühl, ein hilfloses Herumwirbeln im Wasser.
Aber ich hörte auf ihn. Ich zwang meine Arme, sich zu strecken, zwang meine Beine, fester zu treten, obwohl ich jede Sekunde in eine andere Richtung schaute. Es nützte bestimmt nichts. Wozu sollte das gut sein?
»Du musst kämpfen!«, schrie er. »Verdammt, Bella, kämpf!«
Warum?
Ich wollte nicht mehr kämpfen. Und es lag weder an der Benommenheit noch an der Kälte, noch daran, dass mir die Arme versagten, als meine Muskeln vor Erschöpfung aufgaben. Ich war einfach froh darüber, dass es vorbei war. Diese Art zu sterben war besser als die anderen, denen ich bisher ins Auge geschaut hatte. Sonderbar friedlich.
Die Gewissheit, dass das Ende kommen würde, war tröstlich. Einen Moment lang dachte ich an das Klischee, dass man, bevor man stirbt, das eigene Leben in Sekundenschnelle vorüberziehen sieht. Da hatte ich mehr Glück. Wer wollte schon eine Wiederholung sehen?
Ich sah ihn , warum sollte ich da noch kämpfen? Es war so deutlich, so viel schärfer als jede Erinnerung. Mein Unterbewusstsein hatte Edward bis ins kleinste Detail gespeichert und ihn für diesen letzten Augenblick bewahrt. Ich sah sein makelloses Gesicht, als wäre er tatsächlich da, den Ton seiner eisigen Haut, die Form seiner Lippen, die Linie seines Kinns, das goldene Funkeln seiner wütenden Augen. Er war selbstverständlich wütend darüber, dass ich aufgab. Er hatte die Zähne zusammengebissen und seine Nasenlöcher waren vor Zorn gebläht.
»Nein! Nein, Bella!«
Mein Blick war von dem eiskalten Wasser getrübt, aber seine Stimme war deutlicher denn je. Ich achtete nicht auf seine Worte und konzentrierte mich nur auf den Klang seiner Stimme. Warum sollte ich kämpfen, wenn ich doch so glücklich war? Selbst als meine Lunge nach mehr Luft schrie und meine Beine sich in der eisigen Kälte verkrampften, war ich glücklich. Ich hatte vergessen, wie wahres Glück sich anfühlte.
Glück. Das machte das Sterben einigermaßen erträglich.
In diesem Moment siegte die Strömung und drückte mich plötzlich gegen etwas Hartes, einen Felsen, der in der Dunkelheit unsichtbar gewesen war. Er stieß mir hart in die Brust wie eine Eisenstange, der Atem wich zischend aus meiner Lunge und verschwand in einer dicken Wolke aus Silberblasen. Wasser strömte mir in die Kehle, es brannte und würgte mich. Es war, als würde ich weggezogen, weg von Edward und tiefer in die Finsternis, auf den Grund des Ozeans.
Leb wohl, ich liebe dich , war mein letzter Gedanke.
W as wäre wenn?
In diesem Moment stieß ich mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche.
Wie verwirrend. Ich war mir so sicher gewesen, dass ich auf den Grund sank.
Die Strömung ließ nicht nach. Wieder warf sie mich gegen die Felsen, sie trafen mich hart im Rücken, immer aufs Neue, pressten mir das Wasser aus der Lunge. Ich spie erstaunliche Mengen aus, reinste Sturzbäche kamen mir aus Mund und Nase. Das Salz brannte und meine Lunge brannte und ich hatte so viel Wasser im Hals, dass ich nicht atmen konnte, und die Felsen taten mir im Rücken weh. Aus irgendeinem Grund wurde ich nicht mehr von den Wellen mitgerissen, obwohl das Wasser um mich herum immer noch toste. Rings um mich her sah ich nichts als Wasser,
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