Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
er Alice mit seinen verschleierten Augen an. »Dein Bruder schien dich für unfehlbar zu halten, aber offenbar hat er da etwas übersehen.«
»Oh, ich bin alles andere als unfehlbar.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Sie sah ganz gelassen aus, nur die Hände hatte sie zu festen kleinen Fäusten geballt. »Wie du siehst, verursache ich ebenso oft Probleme, wie ich sie löse.«
»Du bist zu bescheiden«, schalt er sie. »Ich habe einige deiner erstaunlichen Verdienste gesehen, und ich muss zugeben, dass mir noch nie ein vergleichbares Talent untergekommen ist. Wunderbar!«
Alice schaute rasch zu Edward hinüber, was Aro nicht entging.
»Entschuldige, wir sind einander gar nicht richtig vorgestellt worden, nicht wahr? Es kommt mir so vor, als würde ich dich schon kennen, aber da bin ich vielleicht etwas zu voreilig. Dein Bruder hat uns gestern auf seltsame Weise miteinander bekannt gemacht. Ich habe nämlich einige Talente mit deinem Bruder gemeinsam, nur dass ich, im Gegensatz zu ihm, eingeschränkt bin«, sagte Aro neidvoll und schüttelte den Kopf.
»Aber unendlich viel mächtiger«, fügte Edward trocken hinzu. Er schaute Alice an und erklärte schnell: »Aro braucht Körperkontakt, um die Gedanken eines anderen zu hören, aber dafür hört er viel mehr als ich. Wie du weißt, kann ich nur hören, was jemandem in dem Moment durch den Kopf geht. Aro hört alles, was derjenige jemals gedacht hat.«
Alice zog die feinen Augenbrauen hoch, und Edward nickte kaum merklich.
Auch das entging Aro nicht.
»Aber aus der Entfernung hören zu können …« Aro seufzte und deutete mit einer Handbewegung den Austausch an, der soeben zwischen den beiden stattgefunden hatte. »Das stelle ich mir so praktisch vor.«
Dann schaute er über unsere Schultern zur Tür. Alle wandten den Kopf in dieselbe Richtung, auch Jane, Alec und Demetri, die stumm neben uns standen.
Ich drehte mich als Letzte um. Felix war wieder da, und hinter ihm kamen zwei weitere schwarz gewandete Männer angeschwebt. Beide hatten große Ähnlichkeit mit Aro, der eine hatte sogar das gleiche wallende Haar. Der andere hatte schneeweiße Haare, die ihm bis zu den Schultern gingen. Ihre Gesichter hatten die gleiche papierne Haut.
Jetzt war das Trio von Carlisles Gemälde komplett, alle drei sahen noch genauso aus wie vor dreihundert Jahren, als das Bild gemalt worden war.
»Marcus, Caius, schaut!«, sagte Aro mit sanfter Stimme. »Bella lebt doch noch, und Alice ist mit ihr hier. Ist das nicht wundervoll?«
Keiner der beiden sah so aus, als wäre »wundervoll« das erste Wort, das ihm dazu eingefallen wäre. Der dunkelhaarige Mann sah tödlich gelangweilt aus, als hätte er Aros Begeisterungsstürme schon seit zu vielen Jahrtausenden erlebt. Der andere machte unter dem schneeweißen Haar ein verdrießliches Gesicht.
Ihr mangelndes Interesse konnte Aros Freude nicht dämpfen.
»Lasst uns die Geschichte hören.« Aro sang es fast mit seiner federleichten Stimme.
Der weißhaarige uralte Vampir schwebte davon, er bewegte sich auf einen der hölzernen Throne zu. Der andere blieb neben Aro stehen, dann streckte er die Hand aus. Im ersten Moment dachte ich, er wolle Aros Hand nehmen. Aber er berührte nur kurz seine Handfläche, dann ließ er den Arm wieder sinken. Aro hob eine schwarze Braue. Es wunderte mich, dass seine papierne Haut dabei nicht zerknitterte.
Edward schnaubte ganz leise, und Alice schaute ihn neugierig an.
»Danke, Marcus«, sagte Aro. »Sehr interessant.«
Erst da begriff ich, dass Marcus Aro seine Gedanken mitgeteilt hatte.
Marcus sah nicht im mindesten interessiert aus. Er glitt von Aro weg und gesellte sich zu dem anderen, offenbar Caius, der auf einem der Throne saß. Zwei der anderen Vampire folgten ihm leise – Leibwächter, wie ich schon vermutet hatte. Ich sah, dass die beiden Frauen in Strandkleidern sich auf dieselbe Weise neben Caius gestellt hatten. Die Vorstellung, ein Vampir könnte einen Leibwächter brauchen, kam mir etwas albern vor, aber vielleicht waren die Alten ja so zerbrechlich, wie ihre Haut aussah.
Aro schüttelte den Kopf. »Erstaunlich«, sagte er. »Wirklich erstaunlich.«
Alice sah frustriert aus. Edward wandte sich zu ihr und erklärte schnell und leise: »Marcus kann Beziehungen sehen. Er ist überrascht darüber, wie innig unsere ist.«
Aro lächelte. »So praktisch«, wiederholte er. Dann wandte er sich an uns. »Es gehört eine ganze Menge dazu, Marcus zu überraschen, das kann ich euch
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