Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
Gesicht und mir wurde schwindelig.
»Wenn ich aufwache« – er öffnete den Mund, um zu widersprechen, und ich korrigierte mich – »okay, vergiss das. Wenn du mich wieder verlässt, wird es auch so schon schwer genug sein.«
Er wich ein kleines Stück zurück und starrte mich an.
»Als ich dich gestern berührt habe, da warst du so … zögerlich, so zurückhaltend, und doch warst du dieselbe. Ich muss wissen, warum. Komme ich zu spät? Habe ich dich zu sehr verletzt? Hast du dich anderen Dingen zugewandt? Das wäre … nur billig. Ich werde deine Entscheidung nicht in Frage stellen. Also versuch bitte nicht, mich zu schonen – sag mir einfach, ob du mich nach allem, was ich dir angetan habe, noch lieben kannst oder nicht. Kannst du?«, flüsterte er.
»Was ist das denn für eine bescheuerte Frage?«
»Antworte einfach. Bitte.«
Eine ganze Weile schaute ich ihn finster an. »Meine Gefühle für dich werden sich nie ändern. Natürlich liebe ich dich – und das kannst du auch nicht ändern!«
»Mehr wollte ich nicht hören.«
Dann lag sein Mund auf meinem und ich konnte mich nicht wehren. Nicht, weil er vieltausendmal stärker war als ich, sondern weil sich mein Verstand in dem Moment, als unsere Lippen sich trafen, in nichts auflöste. Dieser Kuss war nicht ganz so behutsam wie andere, die ich in Erinnerung hatte, und das war mir nur recht. Wenn das Loch mich schon zerreißen musste, konnte ich vorher wenigstens so viel wie möglich mitnehmen.
Also erwiderte ich seinen Kuss, und mein Herz schlug wild und holprig, während mein Atem keuchend ging und meine Hände gierig sein Gesicht berührten. Ich spürte seinen Marmorkörper überall, und ich war so froh, dass er nicht auf mich gehört hatte – kein Schmerz auf der Welt war so groß, dass ich deswegen auf das hier verzichten wollte. Seine Hände erforschten mein Gesicht, und ich zeichnete seins nach, und in dem kurzen Moment, da seine Lippen frei waren, flüsterte er meinen Namen.
Als mir schwindelig wurde, zog er sich zurück, doch nur, um sein Ohr an mein Herz zu legen.
Benommen lag ich da und wartete darauf, dass mein Atem wieder ruhiger und leiser wurde.
»Übrigens«, sagte er beiläufig, »werde ich dich nicht verlassen.«
Ich sagte nichts, und er schien die Skepsis in meinem Schweigen zu hören.
Er hob mein Gesicht an und hielt mich mit seinem Blick fest. »Ich gehe nirgendwohin. Nicht ohne dich«, fügte er, jetzt ernsthafter, hinzu. »Ich habe es nur getan, um dir die Möglichkeit zu geben, ein normales, glückliches Menschenleben zu führen. Durch mich warst du ständig in Gefahr, ich schnitt dich von der Welt ab, in die du gehörtest, und setzte in jedem Augenblick, den ich mit dir verbrachte, dein Leben aufs Spiel. Also musste ich es versuchen. Irgendetwas musste ich tun, und dich zu verlassen, schien der einzige Weg zu sein. Wenn ich nicht geglaubt hätte, es wäre zu deinem Besten, hätte ich es nie über mich gebracht. Dafür bin ich viel zu egoistisch. Nur du warst mir noch wichtiger als das, was ich wollte … was ich brauchte. Bei dir sein, das ist alles, was ich will und was ich brauche, und ich weiß, dass ich nie wieder stark genug sein werde, dich zu verlassen. Es gibt zu viele Entschuldigungen für mich, bei dir zu bleiben – Gott sei Dank! Offenbar bist du ohnehin nie in Sicherheit, ganz gleich, wie viele Kilometer zwischen uns liegen.«
»Versprich mir nichts«, flüsterte ich. Wenn ich mir die Hoffnung erlaubte und alles vergebens war … das würde mich umbringen. Wenn schon all diese gnadenlosen Vampire es nicht geschafft hatten, mich zu töten, würde die Hoffnung das erledigen.
Seine schwarzen Augen glitzerten metallisch vor Zorn. »Du glaubst, ich lüge dich jetzt an?«
»Nein – nicht dass du lügst.« Ich schüttelte den Kopf und versuchte zusammenhängend zu denken, objektiv zu prüfen, ob er mich wirklich liebte, damit ich der Hoffnung nicht in die Falle ging. »Es kann ja sein, dass du es ernst meinst … jetzt. Aber was ist morgen, wenn dir wieder einfällt, warum du mich verlassen hast? Oder nächsten Monat, wenn Jasper nach mir schnappt?«
Er zuckte zusammen.
Ich dachte über die letzten Tage meines Lebens nach, bevor er mich verlassen hatte, und versuchte sie im Licht dessen zu betrachten, was er mir gerade erzählt hatte. Wenn ich versuchte zu akzeptieren, dass er mich verlassen hatte, obwohl er mich liebte, um mich zu schützen, bekamen seine Grübelei und sein abweisendes Schweigen eine ganz neue
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