Bis(s) 3 - Bis(s) zum Abendrot
Geisterkrieger gab es nicht mehr.
Von nun an war Taha Aki mehr als nur Wolf oder Mann. Er wurde Taha Aki der Große Wolf oder Taha Aki der Geistermann genannt. Viele, viele Jahre führte er den Stamm, denn er alterte nicht. Wenn Gefahr drohte, nahm er die Wolfsgestalt an, um gegen den Feind zu kämpfen oder ihm Angst einzujagen. Das Volk lebte in Frieden. Taha Aki zeugte viele Söhne, und einige davon stellten fest, dass auch sie sich, wenn sie das Mannesalter erreicht hatten, in einen Wolf verwandeln konnten. Die Wölfe waren alle unterschiedlich, denn sie waren Geisterwölfe und spiegelten den Mann wider, der darin steckte.«
»Deshalb also ist Sam pechschwarz«, murmelte Quil grinsend. »Schwarze Seele, schwarzes Fell.«
Die Geschichte hatte mich so in Bann gezogen, dass es fast ein Schock war, in die Gegenwart zurückzukommen, in den Kreis um das verlöschende Feuer. Und ich erschrak, als mir klarwurde, dass der Kreis aus Taha Akis Urur…enkeln bestand.
Funken stoben in einer Salve vom Feuer auf, sie zitterten und tanzten und bildeten beinahe erkennbare Figuren.
»Und was sagt uns dein schokoladenbraunes Fell?«, flüsterte Sam Quil zu. »Wie süß du bist?«
Billy überging ihre Sticheleien. »Einige der Söhne blieben als Krieger bei Taha Aki und wurden fortan nicht mehr älter. Andere, denen die Verwandlung nicht gefiel, weigerten sich, dem Rudel von Wolfsmännern beizutreten. Diese begannen wieder zu altern, und so fand man heraus, dass die Wolfsmänner altern konnten wie alle anderen, wenn sie aufhörten, sich in Geisterwölfe zu verwandeln. Taha Aki hatte drei lange Leben gelebt. Nach dem Tod seiner ersten und zweiten Frau heiratete er eine dritte und fand in ihr seine wahre Gefährtin im Geiste. Zwar hatte er auch die anderen beiden geliebt, aber mit dieser war es etwas anderes. Er beschloss, sich nicht länger in seinen Geisterwolf zu verwandeln, damit er mit ihr zusammen sterben konnte.
So kam die Magie zu uns, aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte …«
Er schaute zu Old Quil Ateara, der auf seinem Stuhl hin und her rutschte und die schmalen Schultern straffte. Billy trank einen Schluck Wasser aus einer Flasche und wischte sich über die Stirn. Emilys Stift glitt rasend schnell über das Papier.
»Das war die Geschichte der Geisterkrieger«, begann Old Quil mit seiner Fistelstimme. »Nun folgt die Geschichte vom Opfer der dritten Frau.
Viele Jahre nachdem Taha Aki beschlossen hatte, sich nicht länger in seinen Geisterwolf zu verwandeln – er war schon ein alter Mann –, kam es im Norden zu Auseinandersetzungen mit den Makah. Mehrere junge Frauen ihres Stammes waren verschwunden, und sie beschuldigten die Wölfe des Nachbarstammes, die sie fürchteten und denen sie misstrauten. In Wolfsgestalt konnten die Wolfsmänner noch immer die Gedanken der anderen Wölfe lesen, genau wie ihre Vorfahren es als Geister gekonnt hatten. Sie wussten, dass keiner von ihnen schuld an dem Verschwinden der Frauen war. Taha Aki versuchte den Häuptling der Makah zu besänftigen, aber auf Seiten der Makah gab es zu viel Angst. Taha Aki wollte nicht, dass es zu einem Krieg kam. Er war nicht länger ein Krieger, der sein Volk führen konnte. Er beauftragte seinen ältesten Wolfssohn, Taha Wi, den wahren Übeltäter zu finden, ehe es zum Kampf kam.
Zusammen mit den anderen fünf Wölfen seines Rudels durchkämmte Taha Wi die Berge auf der Suche nach Spuren der vermissten Makah. Dabei stießen die Wölfe auf etwas, das ihnen nie zuvor begegnet war – einen eigenartigen, süßlichen Geruch im Wald, der ihnen so in der Nase brannte, dass es schmerzte.«
Ich lehnte mich etwas näher an Jacob. Ich sah, wie es um seine Mundwinkel zuckte, und er legte mir den Arm fest um die Schultern.
»Sie wussten nicht, was für ein Wesen solch einen Geruch verströmte, doch sie folgten der Spur«, fuhr Old Quil fort. Seine zittrige Stimme klang nicht so erhaben wie Billys, doch es lag eine merkwürdige drängende Leidenschaft darin. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als er schneller sprach.
»Als sie der Fährte folgten, fanden sie schwache Spuren menschlicher Gerüche und menschliches Blut. Sie waren sich sicher, dass sie dem Feind, den sie suchten, auf den Fersen waren.
Die Spur führte sie so weit, dass Taha Wi die Hälfte des Rudels, die drei Jüngeren, zurück zur Bucht schickte, damit sie Taha Aki Bericht erstatten konnten.
Taha Wi und seine beiden Brüder kehrten nicht zurück.
Die jüngeren Brüder
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