Biss der Wölfin: Roman
ließ mich keuchen; kalte Luft füllte meine Lungen und vertrieb schlagartig den Schlaf.
Vor mir sah ich ein zum Teil heruntergelassenes Autofenster. Dahinter Wald. Tiefer dunkler Wald, die Bäume so nah, dass ich die Hand ausstrecken und …
Meine Hände waren im Rücken zusammengebunden.
Ich drehte den Kopf und sah mich nach Clay um. Joey saß auf dem Fahrersitz. Ich saß auf dem Beifahrersitz. Und die Rückbank war leer.
»Wo ist er?«, fauchte ich, versuchte, mich zu befreien, und stellte dabei fest, dass ich an Händen und Füßen gefesselt war. »Wo ist er?«
»Noch im Hotel. Ihn haben sie nicht gewollt.«
Es dauerte einen Moment, bis ich begriffen hatte, aber als ich es tat, begann ich wild um mich zu schlagen.
Joey wich zurück bis an die Tür und wartete, um mir Zeit für die Erkenntnis zu lassen, dass ich mich so nicht befreien konnte. Als es auch mir klargeworden war, drehte ich mich langsam wieder zu ihm um und sagte: »Du tauschst mich gegen Noah aus.«
»Ich muss. Das ist es, was sie gestern von mir verlangt haben. Ich hatte Zeit bis heute Abend, dich ihnen auszuliefern, sonst würden sie ihn umbringen. Deswegen habe ich versucht, euch zum Gehen zu bewegen. Wenn ihr verschwunden wärt, hätten sie das nicht von mir verlangen können.« Ein selbstmitleidiger Ton schlich sich in seine Stimme, als wäre das Ganze meine Schuld. »Ich habe versucht, euch rauszuhalten.«
»Nein, hast du nicht. Du hast ein paarmal halbherzig angeregt, wir sollten aus der Stadt verschwinden, aber eigentlich hast du nicht gewollt, dass wir gehen. Du wolltest einfach die Möglichkeit, dir selbst zu erzählen, dass du’s versucht hast, und …«
Ich unterbrach mich und musterte den Wald draußen. Tesler konnte jeden Moment aus der Dunkelheit auftauchen, und mit dem Gezänk verschwendete ich gerade jede Fluchtmöglichkeit, die ich noch hatte.
»Hast du gehört, was Clay als Letztes zu dir gesagt hat?«, fragte ich.
Joey antwortete nicht.
»Glaubst du, das wäre eine leere Drohung gewesen? Du kennst Clay – glaubst du wirklich, es wäre eine leere Drohung gewesen?«
Keine Antwort, aber ich hätte schwören können, dass er um ein paar Schattierungen bleicher wurde; sein Blick glitt ab, seine Lippen wurden schmal.
»Du weißt noch, was Clay mit diesem Mutt gemacht hat, damals vor dreißig Jahren? Du warst da.«
»Ich war nicht …«
»Nicht am Schauplatz, aber du warst damals noch am gleichen Ort. Sein Freund damals.« Bei der Betonung, die ich dem Wort Freund mitgab, wurden seine Lippen noch schmaler. »Du weißt, was er getan hat und warum er es getan hat. Aber seither ist eine ganze Generation von Mutts erwachsen geworden, eine Generation, die das für eine uralte Geschichte hält und ihretwegen keine Angst mehr hat. Du weißt, dass Clay das nicht zulassen wird. Er kann es nicht zulassen. Wenn sie es vergessen haben, dann muss er sie dran erinnern. Er muss beweisen, dass er seinem Ruf immer noch gerecht wird. Welche bessere Methode gäbe es da, als die Sache zu wiederholen, dieses Mal aber keinen Mutt zu verwenden, sondern einen alten Freund, der ihn verraten hat?«
Joey wurde weiß. Dann grün. Dann rot, und seine Kiefermuskeln strafften sich, als er sich mir zuwandte. »Du brauchst mir nicht zu drohen, Elena.«
»Nein?«
Sein Blick fing meinen auf; er war hart geworden. »Nein. Was glaubst du, warum wir einfach hier sitzen?«
»Weil du darauf wartest, dass Travis Tesler hier auftaucht …«
»Der Treffpunkt ist eine halbe Meile entfernt, der vereinbarte Zeitpunkt in einer halben Stunde. Ich habe hier gehalten, weil ich es mir anders überlegt habe. Ich kann das nicht machen.«
Mein Blick wurde so hart wie seiner. »Blödsinn.«
»Blödsinn? Siehst du Tesler? Warum sollte …«
»Du hast eine halbe Meile vom Treffpunkt entfernt gehalten. Dann hast du mich aufgeweckt. Wenn du es dir wirklich anders überlegt hättest, dann hättest du den Rückwärtsgang eingelegt und gemacht, dass du hier wegkommst, und hättest mich dabei möglichst lang weiterschlafen lassen. Stattdessen …«
Meine Stimme verklang, als ich zu begreifen begann.
»Ich will meinen Sohn zurück«, sagte Joey. »Ich brauche ihn zurück. Du bist selbst eine Mutter. Du solltest das verstehen.«
Hätte ich die Hände frei gehabt, dann hätte ich ihm dafür die Augen ausgekratzt. Sein Sohn? Ein Junge, den er nicht gewollt hatte, den er seinem Vater überlassen hatte? Ein Junge, der offensichtlich etwas brauchte, das Joey ihm nicht
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