Biss der Wölfin: Roman
durch den Boden lief, konnte ich sogar mit meinen erfrorenen Füßen spüren.
Das Wesen verschwand hinter einer Barriere aus Gebüsch. Das Zittern setzte wieder ein, als es sich weiter vorwärtsbewegte, langsam und stetig.
Wandel dich, verdammt noch mal! Wandel dich!
Aber dafür blieb keine Zeit mehr. Wenn das Wesen mich mitten in der Wandlung erwischte, würde ich noch wehrloser sein, als ich es jetzt schon war.
Okay, dann tu eben irgendwas. Einfach …
Das Wesen richtete sich wieder auf, es war jetzt so nah, dass ich den braunen Pelz sehen konnte, die runden Ohren, die winzigen Augen und die kurze Schnauze.
Ich starrte in das Gesicht eines Bären, eines ganz gewöhnlichen, vom Winterschlaf benommenen Bären.
Der erste Seufzer der Erleichterung hatte es nicht einmal ins Freie geschafft, bevor mein Gehirn kreischend den Rückwärtsgang einlegte.
Bloß ein Bär? Bloß ein zweieinhalb Meter großer, tausend Pfund schwerer Bär?
Der Bär schnüffelte; seine kleinen Schweinsäuglein mühten sich, mich besser zu sehen. Er ließ sich mit einem erdbodenerschütternden Bums wieder auf alle viere fallen. Dann kam er schwerfällig auf mich zugetrottet; der massige Körper schwankte von einer Seite zur anderen.
»Verschwinde!«, brüllte ich. »Aus! Kusch!«
Kusch?
Ich pfiff, und das erregte seine Aufmerksamkeit. Er richtete sich auf und grunzte; sein Atem strömte in die kalte Nachtluft. Noch aus sieben Meter Entfernung reichte der Gestank aus, dass sich mir der Magen umdrehte.
»Verschwinde! Weg mit dir! Aus!«
Ich kreischte und pfiff, aber er spähte nur aus halb geschlossenen Augen zu mir herüber; zur Hälfte war es verschlafene Neugier, zur anderen Hälfte Geringschätzigkeit, als amüsierte er sich über den Krach, den ein so mickriges Wesen zustande brachte. Ich hatte immer wieder gehört, wenn man mit einem Bären zu tun bekam, sollte man so viel Lärm wie möglich machen. Bei den kleinen Schwarzbären, denen ich im nördlichen Ontario über den Weg gelaufen war, hatte es einwandfrei funktioniert. Bei diesem Typen hier hatte ich allerdings den Verdacht, dass er insgeheim über mich lachte. Mit Sicherheit würde er nicht den Schwanz einziehen und wegrennen.
Der Bär trottete schwerfällig weiter, schwankend wie ein Boot in unruhigem Wasser; seine Nase zuckte heftig. Alle paar Schritte hielt er inne und legte den Kopf schief, als versuchte er, aus meinem mysteriösen Geruch schlau zu werden.
Als ich knurrte, grunzte er überrascht. Ich fauchte und bleckte die Zähne. Das ließ ihn stehen bleiben, aber nur einen Moment lang, dann trottete er weiter, bis er nahe genug war, um mir seinen üblen Atem ins Gesicht zu blasen. Dann richtete er sich wieder auf, ragte mit der gesamten Höhe seiner zweieinhalb Meter über mir auf, und wenn meine Knie in der Zwischenzeit nicht eingefroren gewesen wäre, dann hätten sie mit Sicherheit unter mir nachgegeben.
Der Bär starrte mich kurzsichtig an; sein Kopf schwang hin und her, als hätte ein besserer Blickwinkel ihm verraten, was ich eigentlich war. Sein Gesicht senkte sich zu meinem hinunter; der Geruch veranlasste mich, durch den Mund zu atmen.
Ich versuchte, seinen Blick zu erwidern, als ein Schlag wie von einem Vorschlaghammer mich an der Schulter traf und von den Füßen schleuderte. Ich flog gegen das Ende des Seils, das mir die Arme nach oben riss; meine Füße verhedderten sich bei dem Versuch, einen Halt zu finden, und ich fiel auf die Knie, die gefesselten Hände erhoben; meine Gelenke brüllten.
Der Bär stellte sich wieder auf die Hinterbeine, und sein Brüllen donnerte durch meinen Kopf hindurch. Er hob eine Tatze, um wieder nach mir zu schlagen; ich wollte mich aus dem Weg werfen, konnte aber nirgends hin. Er erwischte mich an der Seite; die Krallen rissen mir das T-Shirt auf.
Als ich fiel, die Arme wieder nach oben gerissen, begann meine Kopfhaut zu prickeln. Ein Flecken Haut zwischen den Schulterblättern juckte. Ich sah zu meinen gefesselten Händen hinauf und entdeckte sprießendes Haar.
O nein. O Gott, nein. Doch nicht jetzt.
Aber es gab nichts, das ich hätte tun können, um es aufzuhalten. Ich war in Lebensgefahr, und mein Körper hatte beschlossen, der Bedrohung mit seiner besten Waffe zu begegnen.
Der Bär harkte weiter an mir herum, testete meine Reaktionen aus, während ihm allmählich aufging, dass ich schwach war und er selbst sehr, sehr hungrig.
Mein Blut bespritzte den Baumstamm und sprenkelte den Schnee, und ich konnte nichts tun,
Weitere Kostenlose Bücher