Bissig! (German Edition)
aneinander. Sein eisblauer Blick brannte fast Löcher in Usher. „Sagen Sie, als was man Sie bezeichnet hat, Mr. Grey.“
Das war Raven, wie er leibte und lebte. Endlich würde diese unerklärliche Kreatur ein Label bekommen und in eine seiner Schubladen passen. Jess hielt die Luft an und wartete, mit was Usher jetzt rausrücken würde.
„Sagen Ihnen die Bezeichnungen Faun, Satyr oder Pan etwas, Mr. von Rabenstein?“
Mit einem Schnauben lehnte sich Raven zurück und stieß sich vom Schreibtisch ab. Sein Bürostuhl rollte fast bis zur Wand. „Das sind Sagengestalten, Mr. Grey. Gehörnte Typen, die mehr nach Ziegenbock aussehen als alles andere.“ Sein Blick wanderte über Usher und es war sehr offensichtlich, dass er etwas anderes vor sich sah. Es grummelte in Jess' Magen.
„Das sind angeblich nur Schauergeschichten, die die Leute in die Welt gesetzt haben, weil …“, Usher grinste breit, „… sie Angst um die Unberührtheit ihrer Töchter hatten. Faune sollen eine sehr erotische Ausstrahlung haben und überaus fruchtbar sein.“
Ein Husten stieg in Jess auf und er hielt sich die Hand vor den Mund, während er gegen das Kitzeln im Hals ankämpfte. Das traf den Nagel mächtig auf den Kopf. Trotzdem klang es aus Ushers Mund unglaubwürdig, dass er so ein Wesen sein sollte. Er wehrte sich selbst dagegen und wirkte aufrichtig dabei.
„Usher, hast du selbst schon irgendetwas Ungewöhnliches an dir bemerkt?“, sprang Jess ein, denn Raven war bleich geworden wie die Wand, vor der er saß. Vielleicht dachte er gerade an seine Tochter.
Der Blick, den Usher ihm zuwarf, ließ Jess seine Frage beinahe bedauern, denn er sah die Zerrissenheit in seinen Augen. Ihr englischer „Gast“ durchlebte eine ausgewachsene Identitätskrise. Jess schluckte. Er wollte Usher nicht wehtun, aber sie brauchten Antworten, sonst drehten sie sich auf der Stelle.
„Ich habe in einer extremen Situation mit einer Waffe auf einen Dämon gezielt, doch noch vor dem Projektil hat ihn eine Art Blitz getroffen, der wohl aus meinen Händen geschossen kam“, erzählte Usher düster. Es schien ihm regelrecht peinlich zu sein.
Bei dem Wort „Dämon“ war Raven zusammengezuckt.
Raven merkte, wie sein Herz verdammt unangenehm zu flattern begann. Gedanken schossen ihm durch den Kopf – angefangen von falsch ausgezeichneten Medikamenten, die er genommen hatte, bis hin zu allzu bunten Bildern aus Computergames, wo neunköpfige Wesen mit aufgerissenen Mündern geifernd auf die Spieler zukamen. Allerdings sah er diese Bestien nicht in Fantasylandschaften, sondern sehr lebhaft auf den Gängen des FBI Gebäudes, in seinem Wohnzimmer und in der Shopping Mall.
Er griff seine Krawatte, lockerte den Knoten und holte tief Luft. Da hörte er Jess' Stimme neben seinem Ohr. „Raven! Ist alles in Ordnung mit dir?“ Sein Kollege klang tatsächlich besorgt. Das musste er sich im Kalender anstreichen.
„Ich bin okay. Es ist nur verdammt schlechte Luft hier im Raum“, versuchte Raven die Situation zu entschärfen. Langsam stand er auf, allerdings drehte sich der Boden unter seinen Füßen und er griff an die Tischkante, um Halt zu finden. Ihm war wirklich nicht gut, doch dieser aufgeblasene Engländer sollte nichts davon mitbekommen. Oder war nur eine Erkältung im Anmarsch, die mit seinem Kreislauf Pingpong spielte?
Er öffnete das Fenster und schaute Usher an. Den Faun , korrigierte er sich in Gedanken und hätte fast losgelacht – wenn es nicht so erschreckend gewesen wäre. „Mr. Grey, können Sie beweisen, dass sie … Blitze schießen können? Wären Sie mal so freundlich, ihre Fähigkeiten zu demonstrieren?“
Usher ging in eine abweisende Haltung, während Jess Raven immer noch besorgt anschaute. „Du bist völlig grau im Gesicht, Boss. Ich werde lieber mal den Doc holen.“
Schon war Jess verschwunden und er war mit Usher allein. Gut, das war Raven recht, denn dann konnte er sich den Kerl vornehmen – ganz privat.
„Ist das Ihr Ernst? Ich soll hier den lebenden Taser spielen, damit Sie mir glauben?“ Usher klang mächtig sackig, er hatte den Schutzschild hochgefahren.
„Ich bitte darum.“ Raven hatte sich vor ihm auf den Schreibtisch gesetzt. Zum Glück war die Übelkeitswelle jetzt vorbei, es war wohl tatsächlich nur der Kreislauf.
„Der Arzt ist ja schon unterwegs“, meinte Usher trocken. „Aber ich kann Sie sehr gut verstehen, von Rabenstein. Sie wollen Klarheit, denn Sie arbeiten gerade mit einer unbekannten Variablen,
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