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Bissige Gäste im Anflug

Bissige Gäste im Anflug

Titel: Bissige Gäste im Anflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Gehm
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sechs besagte, dass jeglicher Einsatz übernatürlicher Kräfte, zu denen auch das Flopsen zählte, verboten war. Wie man sah, hielten sich die Zwillinge nicht unbedingt an die sieben radikalen Regeln. Vielleicht waren sie auch zu radikal. Die Regeln. Und die Zwillinge.
    Ludo blickte zum Gipfel des Knochenhügels.
    Daka hing kopfüber an einem dicken grauen Ast des toten Baumes und winkte ihnen zu. Der breite schwarze Gürtel, auf den lauter kleine silberne Spinnen genietet waren, war ihr bis unter die Achseln gerutscht. Es sah aus, als hinge Daka mit einem Rettungsring in der Luft.
    »Hoi boi, ihr lahmen Blutasseln!«, rief sie den anderen zu, die sich langsam das letzte Stück zum Hügel hinaufkämpften.
    »Daka!« Silvania warf ihrer Schwester einen bissigen Blick zu. »Das verstößt gegen die radikale Regel Nummer sechs!«
    »Und stinkende Qualmfüße verstoßen gegen die Ehre eines Halbvampirs.«
    Silvania sah auf ihre spitzen dunklen Schnürschuhe, deren oberer Rand gezackt war wie ein Drachenrücken. Sie rümpfte die Nase. Ihre Schwester hatte recht. Was selten vorkam. Aber es kam vor.
    »Flopsen ist unfair«, fand Helene. »Obwohl ...« Sie sah zum Gipfel. Er war nur noch wenige Schritte entfernt. »Wenn ich's könnte, würde ich wahrscheinlich Tag und Nacht durch die Gegend flopsen.«
    »Gumox«, sagte Silvania. »Flopsen ist total anstrengend.«
    »Anstrengender als bergauf laufen?«, fragte Ludo.
    »Ungefähr so anstrengend wie mit einem Rucksack voller Backsteine bergauf laufen«, erklärte Silvania.
    Daka nickte und fing mit dem Finger eine Schweißperle auf, die ihr gerade von der Nasenspitze über den Nasenrücken auf die Stirn lief. »Aber die Füße paffen nicht.«
    Helene, Silvania und Ludo erreichten den Gipfel des Knochenhügels.
    Silvania stieß einen Seufzer aus und tupfte sich mit einem Taschentuch die Schweißperlen von der Oberlippe.
    Helene streckte die Arme aus und dehnte die Beine.
    Ludo stand genauso reglos wie der Baum da. Er sah nach unten zum Fuß des Hügels, als würde er von dort irgendetwas oder irgendjemanden erwarten.
    Einen Moment lang wurde es friedhofsstill auf dem Knochenhügel. Hätte jemand die vier Freunde von Weitem gesehen, hätte er meinen können, sie gehörten in die Landschaft, genauso wie der tote Baum. Daka, Silvania, Helene und Ludo versuchten die Nacht mit den Augen zu erfassen. Es war eine tiefe, unergründliche, geheimnisvolle Dunkelheit. Sie hatte die Macht, alles mit einem Schlag zu verwandeln. Nur der Gipfel und die unmittelbare Umgebung wurden vom Mondlicht erhellt. Das kühle Licht ließ die Gesichter der Kinder fahl schimmern, als wären sie mit Leichenbalsam bedeckt. Das Mondlicht streifte nur die Oberfläche, erwärmte nicht das Innere.
    Plötzlich knackte es im toten Baum. Silvania, Helene und Ludo fuhren herum. Helene riss die Augen auf. Ludo ballte die Hände zu Fäusten. Silvania entblößte ihre Eckzähne.
    »Skyzati«, sagte Daka und grinste schief. Sie hielt einen kleinen abgestorbenen Zweig in der Hand. »Da saß ein Eulenfalter. Mich hat einfach der Hunger gepackt.«
    Silvania verdrehte die Augen.
    Helene verzog angewidert den Mund.
    Ludo ließ die Fäuste sinken.
    Daka warf den Zweig weg und streckte die Arme nach unten aus. Sie reichten gerade so bis zum Erdboden. Im Handstand machte sie einen Abgang rückwärts vom Ast. Als sie mit beiden Beinen auf dem Boden aufkam, erklangen von der Ferne Kirchturmglocken.
    »Mitternacht!«, sagte Helene leise.
    Ludo, Silvania und Daka sahen einander an und nickten verschwörerisch.
    Helene strich sich über die Arme. Die Gänsehaut prickelte herrlich. Helene liebte Mitternacht. Die Geisterstunde. Die Stunde der Dämonen, der Hexen, des Teufels und der bösen Mächte. Doch bis jetzt war Helene um Mitternacht meistens in ihrem Zimmer oder in einem anderen Raum gewesen, wo sie notfalls schnell das Licht anknipsen konnte. Auf dem Knochenhügel gab es keinen Lichtschalter. Noch nicht einmal eine Toilette, die Helene auch immer gerne in der Nähe wusste, wenn sie sich gruselte. Sie gruselte sich sehr gerne. So, wie andere gerne vom Zehnmeterbrett sprangen. Solche Leute soll es geben. Trotzdem war sie sehr froh, dass sie sich heute nicht allein gruseln musste. Hätten Silvania, Daka und Ludo nicht neben ihr gestanden, hätte sie sich wahrscheinlich zu einer Kugel zusammengekrümmt, wäre den Hügel hinuntergerollt, am Fuße liegen geblieben und hätte sich tot gestellt, bis die ersten Sonnenstrahlen die Nacht

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