Bissige Spiele (German Edition)
waren treue und herzliche Begleiter in dieser Zeit. Sie zeigten mir eine Seltenheit: Sie jagten Wale. Schließlich gab es in Island nicht so viele Menschen, und so hatten sich die hier lebenden Vampire auf Wassertiere spezialisiert.
Wie Orcas bewegten sie sich gemeinsam im Wasser. Pfeilschnell trieben sie einen jungen Blauwal von seiner Herde weg und zeigten mir Jagdstrategien, die ich bisher nur an Land gesehen und teilweise auch eigens durchgeführt hatte. Bislang hatte ich nur davon gehört, dass sich einige Vampire auch von Meerestieren ernährten. Gesehen hatte ich es bis zum heutigen Tag noch nicht. Aber verstehen konnte ich es gut, denn um hier am nördlichen Ende von diesem Kontinent lediglich meine vegetarische Lieblingsspeise, junge wilde Luchse, zu erwischen, musste ich lange unterwegs sein. Da konnte man auch gleich in dem Luchsgebiet bleiben. Also begnügte ich mich in dieser Zeit mit Walblut, was besonders fettig schmeckte, mich jedoch von einer sofortigen Rückkehr abhielt.
Die Tage vergingen, und die Tatsache, dass ich vor einem Mädchen geflohen war, erschreckte mich von Tag zu Tag mehr. Ich lachte über mich selber, scherzte mit Anuk und Pilar über meine zügellose Gier und schließlich freute ich mich nur noch darauf zurück nach London zu fahren – zurück zu meiner Familie.
Dieses Mädchen konnte mir nichts anhaben!
„Vielen Dank für eure Gastfreundschaft“, sagte ich zu Benjo und seiner Familie.
„Grüß Maureen von uns. Lasst es euch gut gehen“, riefen sie mir zu, als ich bereits im Wagen saß und das Gaspedal durchdrückte.
Wieder hatte ich diese endlose Fahrt vor mir, dieses Mal quälte mich jedoch keine Frage, keine Unsicherheit. Ich wusste genau, dass ich kein Problem hatte, wie Ian es mir in der Straße vor seiner Wohnung angedeutet hatte. Ich brauchte nichts aus dem Weg zu räumen. Sicherlich war es der ranzige Obdachlose.
Als ich bei Maureen zuhause ankam, war alles so wie vorher. Sie war nicht sauer auf mich, oder gab mir das Gefühl, dass ich einen Fehler gemacht hätte. Sie hatte Besuch von einem Vampir aus der Gegend. Er hieß Gary und war ebenso wie ich ein bildhübscher Bursche.
Wir sprachen über Benjo und seine Familie. Beide waren begeistert von den Jagdstrategien, die ich unter Wasser mitverfolgt hatte und nun natürlich haarklein und ausschmückend wiedergab. Gary wollte natürlich alles noch genauer als genau wissen und löcherte mich den halben Abend mit Fragen und bat mich immer wieder den Höhepunkt der Jagd mit allen Einzelheiten zu wiederholen. Maureen war unbeeindruckt. Hatte sie doch schon als sehr alte Vampirweise grausamere Kämpfe durchlebt.
Doch ein wenig amüsiert war sie trotzdem. Besonders davon, dass ich zum Jagen auf Luchse solch weite Strecken hätte auf mich nehmen müssen, dass ich auf dem Rückweg wieder Durst bekommen hätte. Ich lachte mit. Alles in allem schienen wir durch meine kleine Abwesenheit noch mehr zusammengewachsen zu sein, als wir es je waren. Und mein Kurztrip hatte nach und nach den Anschein, als wäre ich auf Abenteuerurlaub gewesen, bei dem beide gerne mitgegangen wären.
Maureen war in jeder Hinsicht unterschiedlicher Stimmung. Sie wirkte erfreut und nachdenklich zugleich und mir schien es als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Ich hätte schwören können, dass das Lächeln in Ihren Augen und um ihre Mundwinkel herum nicht eine Sekunde lang seit meiner Abreise aus ihrem Gesicht verschwunden war.
Und dann kam es wieder. Das Unbehagen. War wirklich kein Problem mehr da? Konnte ich morgen an den Damen im Atelier ohne diese peinliche Übelkeit überstehen?
Um sicher zu gehen, bat ich Gary mit mir eine kleine Hauswaldjagd zu unternehmen. Spaziergänger gab es hier jede Menge. Nur für alle Fälle. Maureen schloss sich uns an. Es lief ja ohnehin nichts Bewegendes im Fernseher.
Obwohl mein Durst gestillt war, watete ich unruhig durch die nebligen Wege zurück zu meinem Auto. Maureen und Gary waren hervorragender Laune, alberten herum und hatten bereits einen Vorsprung. Ich blieb ein wenig zurück und blickte entlang der Bäume, die sich wie eine Allee vor mir erstreckten, soweit man bei dem Nebel überhaupt noch etwas sah. Und dann verwandelte sich die Baumallee plötzlich in eine lange Gasse. Es war die lange Gasse, in der mich Ian aufgelesen hatte. Sie erstreckte sich vor mir in meiner Vision, wie ein langer Tunnel, weiß und kalt, und dann sah ich, wie eine leicht altrosafarbene Duftwolke im Nebel auf mich
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