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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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erfasst nun auch mein Herz. »Wie meinst du das?«
    »Jene Nacht, als Luke starb … ich saß nicht unten und las. Ich hatte alle Lichter ausgeschaltet und tat, als wäre ich zu Bett gegangen, doch das war ich nicht. Ich hatte bereits ein paar Nächte hintereinander heimlich gewacht. Luke wollte zur Insel fahren. In jener Nacht setzte ich mich mit einer Taschenlampe draußen ins Gras, anstatt die Vorgänge durchs Fenster zu beobachten.«
    Ein weiterer Schluck Scotch. »Nach etwa einer Stunde sah ich Luke aus Richtung der alten Scheune den Hügel hinaufkommen. Er bewegte sich irgendwie anders als normal. Im ersten Augenblick dachte ich tatsächlich, er wäre ein Einbrecher. Doch es war Luke. Er ging durch die Tür in euer Haus, ohne das leiseste Geräusch zu machen. Ich umrundete euer Haus und ging zu deinem Fenster. Ich bemerkte den schmalen Lichtspalt, als er deine Zimmertür öffnete. Ich dachte, er sieht nur nach, wie du schläfst … aber das war es nicht. Die Tür öffnete sich weiter und schloss sich ganz schnell wieder, und ich wusste, dass er in dein Zimmer geschlüpft und dort geblieben war.«
    Ich träume nur. Wenn ich jetzt aufwache, muss ich mir das alles nicht mehr anhören. Aber ich kann nicht aufwachen. Ich sitze reglos da, wie angekettet, und mein Großvater redet und redet.
    »Ich schlich ins Haus. Gwens Tür stand offen, doch deine Mutter schlief tief und fest. Dann öffnete ich die Tür zu deinem Zimmer und schaltete meine Taschenlampe ein …«
    »Nein« , flüstere ich. »Nicht.«
    »Luke lag bei dir im Bett, Catherine. Ich hoffte noch in diesem Augenblick, dass es eine Art psychischer Abhängigkeit war, irgendwas in der Art. Dass er zu dir ins Bett musste, um einschlafen zu können. Aber das war es nicht. Als ich die Bettdecke wegriss …«
    »Nein! Nicht!«
    »Er hatte keine Hose an, Catherine. Und dein Nachthemd war bis zur Brust hochgeschoben.«
    Ich schüttele den Kopf wie ein Kind, das die Zeit umzukehren versucht, um einen Hund wieder lebendig zu machen, der von einem Auto überfahren wurde, oder einen Elternteil, dessen Sarg sich gerade in die Erde senkt. Doch es nutzt nichts.
    Großvater steht auf und blickt auf die französischen Fenster. Seine Stimme ist belegt, als er weitererzählt. »Er hat dich unsittlich berührt, Catherine. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, sprang er auf und versuchte mir die Situation zu erklären. Dass es nicht so wäre, wie es aussah. Doch er konnte den Zustand nicht verbergen, in dem er sich befand. Ich packte ihn am Arm und zerrte ihn zur Tür. Er drehte durch. Er fing an, nach mir zu schlagen.«
    Großvater wendet sich zu mir um, und seine Augen glänzen feucht. »Luke war die meiste Zeit so teilnahmslos, dass ich völlig überrascht war. Doch er konnte unglaublich wild sein, wenn er wollte. Ohne diese Fähigkeit zur Gewalt hätte er den Krieg wahrscheinlich nicht überlebt.«
    Großvater kommt in meine Richtung, bleibt einen Meter vor mir stehen und blickt auf mich herab – aus gewaltiger Höhe, wie es mir scheint. »Ich wollte dich aus diesem Zimmer schaffen, Catherine, doch Luke hatte mich bereits mehrere Male empfindlich getroffen und machte keine Anstalten aufzuhören. In diesem Augenblick erinnerte ich mich an das Gewehr, dasim Esszimmer über dem Kamin hing. Ich rannte nach draußen und riss es von der Wand. Ich lud die Waffe durch und kehrte zurück, um dich zu holen.
    Luke war in der Ecke bei deinem begehbaren Schrank. Er war auf den Knien. Dein Bett war leer. Ich wusste, dass du völlig verängstigt sein musstest und wahrscheinlich versucht hattest, durch den Schrank zu entkommen. Damals hatte der Schrank noch keine Rückwand, genau wie in den alten Landhäusern, wo die Schranktüren von angrenzenden Schlafzimmern praktisch in den gleichen begehbaren Schrankraum münden. Wie dem auch sei, ich sagte Luke, er solle dich in Ruhe lassen und aus der Ecke weggehen. Als er nicht reagierte, ging ich mit dem Gewehr in der Hand zu ihm und sagte ihm, er solle sich von meinem Grund und Boden scheren und niemals zurückkommen.«
    Großvater schüttelt den Kopf, und seine Augen sind in weite Ferne gerichtet, während er seine Geschichte erzählt. »Vielleicht war es der Anblick des Gewehrs, der ihn dazu brachte. Oder er konnte die Vorstellung nicht ertragen, bloßgestellt zu werden. Wie dem auch sei, er griff mich erneut an. Er sprang aus der Ecke auf wie ein wildes Tier. Ich drückte ab. Es war ein Reflex, mehr nicht.« Großvaters Hand zuckt, wie um

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