Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
seine Worte zu unterstreichen. »Den Rest kennst du. Die Kugel traf Luke in die Brust, und er starb sehr schnell.«
    Das Schweigen in Großvaters Arbeitszimmer ist vollkommen. Dann erhebt sich aus dem Vakuum, das ich in diesem Augenblick bin, eine leise Frage. »Habe ich zugesehen, wie es passiert ist?«
    »Ich weiß es nicht, Kind. Als ich zum Schrank ging, warst du nicht drin. Offensichtlich warst du auf der anderen Seite ins Schlafzimmer deiner Mutter geschlichen. Ich nehme an, du hast versucht, sie zu wecken, und sie kam nicht zu sich. Erinnerst du dich denn an gar nichts?«
    »Vielleicht, dass ich versucht habe, Mutter zu wecken«, flüstere ich. »Aber vielleicht war es auch nicht in jener Nacht. Ichweiß es nicht. Ich glaube, ich bin damals oft bei ihr im Zimmer gewesen und habe versucht, sie zu wecken.«
    »Du erinnerst dich nicht daran, dass er dich missbraucht hat?«
    Ich schüttele mit maschinenhafter Präzision den Kopf.
    »Das dachte ich mir. Trotzdem, du hast dich nie richtig von jener Nacht erholt, niemals. Es hat dich dein Leben lang verfolgt. Ich habe dich all die Jahre beobachtet und mir gewünscht, ich könnte etwas für dich tun. Aber ich wusste nicht, was. Ich sah nicht, wie es dir hätte helfen können, wenn ich dir die Wahrheit über deinen Vater erzählt hätte. Es gibt ein Sprichwort, dem zufolge Wahrheit frei macht, aber ich bin mir da nicht so sicher. Ich bezweifle, dass ich es dir jemals gesagt hätte, wenn du nicht die Blutspuren in deinem Zimmer entdeckt hättest.«
    Er geht zum Sideboard, schenkt ein Glas fast bis zum Rand mit Wodka voll und hält es mir hin. Doch der Wodka könnte genauso gut Wasser sein. Ich bin so betäubt durch diesen Schock, dass selbst mein Verlangen nach Alkohol verschwunden ist.
    »Nimm«, sagt Großvater. »Er tut dir gut.«
    Nein, ich nehme den Drink nicht, sage ich zu mir. Er schadet mir. Er vergiftet mein Baby.
    »Was denkst du, Catherine?«
    Ich schweige weiter. Ich habe nicht vor, mein einziges reines, unschuldiges Geheimnis mit irgendjemandem zu teilen.
    »Ich weiß nicht recht, was ich jetzt tun soll«, sagt Großvater. »Du hattest in der Vergangenheit immer wieder Probleme mit Depressionen, und ich war dir eine verdammt geringe Hilfe. Ich bin von der alten Schule. Was nicht palpiert, bestrahlt, herausgeschnitten oder amputiert werden kann, das war damals kein medizinisches Problem. Heute weiß ich es besser. Ich habe Angst, dass dich das, was ich dir soeben gesagt habe, in tiefe Depressionen stürzen könnte. Nimmst du immer noch Antidepressiva, wenn du eine von deinen Phasen hast?«
    Ich antworte nicht. Mein Schweigen scheint ihn an daswortlose Jahr zu erinnern, das auf den Tod meines Vaters folgte, denn es macht ihm Angst.
    »Catherine?«, fragt er besorgt. »Kannst du reden?«
    Ich weiß es nicht. Rede ich jetzt?
    »Du hast doch bestimmt Fragen. Du hast immer Fragen.«
    Aber ich bin nicht mehr ich.
    »Ich denke, wenn du erst ein wenig Zeit hattest, das alles zu verdauen, wirst du verstehen, warum ich nicht möchte, wenn du Außenseiter herbringst, die dein Zimmer nach weiteren Spuren absuchen. Es kann nichts Gutes dabei herauskommen, wenn jemand erfährt, was ich dir anvertraut habe. Absolut nichts. Im Gegenteil, der Schaden könnte gewaltig sein.«
    »Wer weiß sonst noch davon?«, flüstere ich.
    »Niemand.«
    »Auch nicht Pearlie?«
    Ein ernstes Kopfschütteln. »Sie hat vielleicht einen Verdacht, aber sie weiß nichts.«
    »Mutter?«
    » Niemand, Catherine.«
    »Hast du mich in jener Nacht wirklich untersucht? Nachdem die Polizei wieder weg war?«
    Er nickt traurig.
    »Was hast du festgestellt?«
    Ein tiefer Seufzer. »Vaginale und anale Irritationen. Alte Narben. Dein Hymen war nicht mehr intakt. Das für sich allein genommen ist kein Beweis, doch ich weiß, was ich gesehen habe. Hätte ich zehn Minuten länger gewartet, bevor ich in dein Zimmer kam, hätte ich noch eindeutigere Beweise gefunden. Und wenn ein Spurensicherungsteam damals deine Bettlaken untersucht hätte …«
    »Bitte hör auf.«
    »In Ordnung, Liebling. Sag mir einfach nur, was ich tun kann.«
    »Nichts.«
    »Ich bin nicht sicher, ob das stimmt. Jetzt, nachdem du dieWahrheit über deine Vergangenheit weißt, könnte es hilfreich sein, wenn du mit jemandem sprichst. Ich kann dir die besten Leute im ganzen Land verschaffen.«
    »Ich muss gehen.«
    »Wohin?«
    »Irgendwohin.«
    »Warum bleibst du nicht für eine Weile auf Malmaison? Ich lasse Pearlie oben ein Zimmer für dich

Weitere Kostenlose Bücher