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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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deinen Vater erschossen habe, Catherine. Ich habe Luke getötet.«
    Ich begreife nicht, was er sagt. Ich meine, ich höre seine Worte, ich erkenne sie in der Reihenfolge, in der sieausgesprochen werden, doch ihre wirkliche Bedeutung bleibt mir verschlossen.
    »Ich weiß, dass es ein Schock ist für dich, Catherine«, fährt Großpapa fort. »Und ich wünschte, es gäbe eine andere Möglichkeit, damit umzugehen, sodass du es niemals erfährst. Aber du hast das Blut entdeckt, und jetzt gibt es keinen anderen Weg mehr, um diese Sache zu beenden. Ich kenne dich, Catherine. Du bist genau wie ich. Du gibst nicht eher Ruhe, als bis du die Wahrheit herausgefunden hast. Also werde ich dir jetzt die Wahrheit erzählen.«
    »Ich dachte, das hättest du heute Morgen bereits getan?«
    Er rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. »Ich habe dich auch schon früher belogen, Liebes. Wir beide wissen es, und du fragst dich wahrscheinlich, warum du mir jetzt glauben sollst. Ich kann dir nur eines sagen: Wenn du gehört hast, was ich dir jetzt erzählen werde, dann weißt du, dass es die Wahrheit ist. Du wirst es in deinen Knochen spüren. Ich wünschte bei Gott, es wäre eine andere Wahrheit.«
    »Aber was redest du denn da, Großpapa? Was hat das zu bedeuten?«
    Großvater reibt sich mit der Rechten durch das gebräunte Gesicht und drückt den Unterkiefer mit Daumen und Zeigefinger, bevor er zu reden anfängt. »Catherine, eines Tages wirst du alt sein, und dann wirst du von irgendeinem Arzt erfahren, dass du sterben musst. Doch das, was du jetzt erfahren wirst, ist schlimmer als diese Nachricht. Ein Teil von dir wird bereits heute sterben, mein Kind. Ich möchte, dass du dich innerlich wappnest.«
    Meine Gliedmaßen sind mit einem Mal eisig kalt. So ähnlich habe ich mich gefühlt, wenngleich stark abgeschwächt, als mein Schwangerschaftstest positiv ausfiel. Eine vorübergehende Lähmung breitete sich in mir aus, während mein Verstand noch versuchte, sich mit der vollkommenen Veränderung anzufreunden, die auf mich und mein Leben zukommen würde. Ich spüre jetzt die gleiche Lähmung, doch verbundenmit einer grauenvollen Vorahnung. In mir ist plötzlich Angst, dass meine ganze Welt durch etwas auf den Kopf gestellt werden könnte, das man mein ganzes Leben lang vor mir verheimlicht hat. Und das Merkwürdige daran ist – es überrascht mich nicht im Mindesten. Es ist, als hätte ich gewusst, dass dieser Morgen kommen würde, seit ich ein kleines Mädchen war. Als hätte ich gewusst, dass ich mich eines Tages in diesem Raum wiederfinden würde – oder einem ähnlichen Raum –, während irgendjemand mich über das schreckliche Geheimnis aufklärt, warum ich so bin, wie ich bin.
    »Es gab keinen Eindringling auf Malmaison in jener Nacht, als Luke starb«, sagt Großvater. »Du hast es bereits vermutet – das ist der Grund, warum du mich gefragt hast, ob Luke Selbstmord begangen hat.«
    »Hat er?«, fragt eine verzagte Stimme, die aus meiner Kehle zu stammen scheint.
    »Nein. Wie ich bereits sagte, Catherine – ich habe ihn getötet.«
    »Aber warum? Habt ihr euch gestritten? War es ein Unfall?«
    »Nein.« Großvater strafft die Schultern und sieht mir direkt in die Augen. »Vor zwei Tagen hast du mich gefragt, warum ich Luke nie gemocht habe. Ich habe dir nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ja, mir gefiel die Veränderung nicht, die der Krieg an ihm bewirkt hatte – und die Tatsache, dass er nicht imstande war, für deine Mutter und für dich zu sorgen, machte es nicht besser. Auf der anderen Seite hatte ich von Anfang an ein schlechtes Gefühl in Bezug auf diesen Jungen. Irgendetwas an ihm war nicht richtig. Deine Mutter konnte es nicht sehen, weil sie ihn liebte, doch ich sah es. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, aber ich spürte etwas, das mich – als Mann – zurückschrecken ließ.«
    »Ich ertrage das nicht, Großvater. Bitte sag es einfach, was immer es ist.«
    »Erinnerst du dich, dass du die einzige Person warst, die erin seiner Nähe geduldet hat, wenn er seine schlimmen Phasen hatte – seine Anfälle, wie Pearlie es nannte? Dass du die Einzige warst, die zu ihm in die Scheune durfte, während er dort arbeitete?«
    »Natürlich.«
    »Luke hat eine Menge Zeit mit dir verbracht, Catherine. Du warst seine Verbindung zur Realität. Ihr beide hattet eine sehr ungewöhnliche Beziehung. Und je mehr Zeit verstrich, desto mehr begann ich zu argwöhnen, dass es keine angemessene Beziehung war.«
    Die Taubheit

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