Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
fertig machen. Du musst nie wieder zurück in das Sklavenquartier. Ihr hättet von Anfang an nicht dort gewohnt, wenn ich etwas zu sagen gehabt hätte. Aber Luke hat sich geweigert, in dieses Haus zu ziehen. Ich habe ihm einen ganzen verdammten Flügel angeboten. Ich schätze, jetzt kennst du den Grund. Wie dem auch sei, nimm dir ein paar Tage und versuch wieder einen halbwegs klaren Kopf zu bekommen. Es könnte noch eine ganze Weile dauern, bis du wirklich darüber hinweg bist.«
    Ich kann nicht glauben, dass ich hier meinen Großvater reden höre. Seine Philosophie war immer eindeutig. Wenn das Leben einen angeschnittenen Ball nach dir schleudert, dann schlag ihn so zurück, dass er dem Fänger im Hals stecken bleibt. Ich habe ihn oft genau diesen Satz sagen hören. Und doch steht er hier vor mir und redet, als hätte er zusammen mit meiner Mutter vor dem Fernseher gesessen und Dr. Phil gesehen.
    »Ich muss jetzt gehen, Großpapa.«
    Ich wende mich ab und gehe rasch zu den französischen Fenstern, die nach draußen auf den Rasen führen. Ich höre seine Schritte, die mir folgen, doch dann bleibt er stehen. Sekunden später bin ich draußen im hellen Sonnenlicht und auf einer scheinbar endlosen Ebene aus frisch gemähtem Rasen.
    Und dann kommen die Tränen.
    Quälende Schluchzer, dass mir der Brustkorb schmerzt. Ich sinke in die Knie und beuge mich vornüber, als wäre ich betrunken und müsste mich übergeben. Doch ich bin nicht betrunken. Ich bin zutiefst verzweifelt. Was ich mir jetzt ammeisten wünsche, ist herauszukönnen aus meiner Haut. Ich will ein Messer nehmen, will mich von oben bis unten aufschlitzen und aus diesem widerlichen, ekelhaften Körper steigen.
    »Catherine?«, ruft eine besorgte Frauenstimme. »Was ist denn los? Hast du dir wehgetan?«
    Es ist meine Mutter. Sie kniet in der Nähe des Vordereingangs von Malmaison in den Blumenbeeten. Ihr bloßer Anblick versetzt mich in Panik. Als sie sich erhebt, raffe ich mich auf und eile zur anderen Seite des Hauses.
    Ich umrunde die Gebäudeecke und renne entlang der Rückseite unseres Sklavenquartiers. Mein Schlafzimmerfenster blitzt zu meiner Linken auf, und ich erschauere beim bloßen Anblick. Dort steht mein Wagen. Meine Verbindung nach New Orleans. Meine Fluchtmöglichkeit. Moms Rufe bleiben hinter mir zurück, als ich hinter das Steuer gleite und die Tür zuschlage. Das Aufheulen des Motors ist das Erste, was die irre Panik in meiner Brust ein klein wenig dämpft.
    Ich werfe den Gang ein und jage den Audi vom Parkplatz. Kieselsteine spritzen gegen die Wand des Sklavenquartiers. Niemals habe ich mir so sehr gewünscht, einen Ort hinter mir zu lassen, wie jetzt bei Malmaison. Doch es gibt nur einen Weg, dies wirklich zu bewerkstelligen.
    Sterben.

26
    D eSalle Island hebt sich aus dem Mississippi wie der Rücken eines schlafenden Hundes. Die lang gestreckte, flache Reihe von Bäumen erstreckt sich vier Meilen von Nord nach Süd und drei Meilen von Ost nach West. DeSalle Island ist so groß, dass man nicht glaubt, sich auf einer Insel zu befinden, ohne sie zu umrunden.
    DeSalle Island ist der Ort meiner Kindheitssommer und genauso sehr ein Teil von mir wie Natchez oder New Orleans, auch wenn es sich deutlich von den beiden abhebt. Von allem anderen abhebt, um ehrlich zu sein. Nominal gehört die Insel zu Louisiana, doch in Wirklichkeit hat sie nie einer anderen Autorität unterstanden als der meiner Familie. Die Insel ist entstanden, als der Mississippi, nachdem er sich zuvor eine weite Schleife gegraben hatte wie eine sich windende Schlange, bei einem Hochwasser diese Schleife selbst durchbrochen und damit seinen Lauf um volle fünf Meilen verkürzt hat. In der Folge der Überschwemmung blieb eine große Insel zurück, mit Bäumen, Wild, fruchtbarem Boden und den Hütten dutzender schwarzer Familien, die seit hundertfünfzig Jahren für meine Vorfahren arbeiten – zunächst als Sklaven, dann als Pächter und schließlich als Lohnempfänger. Die regelmäßigen Überschwemmungen überdeckten den Boden mit Sand und Kies und töteten die Eichen und Tannen ab, doch die Schwarzen arbeiteten weiter, züchteten Vieh, statt Baumwolle anzubauen, unterhielten ein Jagdrevier und unternahmen auch sonst alles, um ihre Kinder satt zu kriegen. Die einzigen Weißen, die jemals nach DeSalle Island kommen, sind Angehörige meiner Familie oder gelegentlich Geschäftsfreunde von Großvater, die er zur Jagd dorthin eingeladen hat.
    Ich habe dort geparkt, wo sich der

Weitere Kostenlose Bücher