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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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verharrt sie in meinem Ohr wie intermittierende Explosionen.
    »Danke für Ihre Zeit«, sage ich in das Rauschen. »Danke, dass Sie immer …«
    Ein lautes Hupen wirft mich fast aus dem Sitz. Ich starre in den Innenspiegel und sehe einen großen weißen Pick-up hinter mir.
    »Hannah?«
    Die Verbindung ist unterbrochen.
    Der Truck hupt erneut. Er wartet darauf, dass ich ihn vorbeilasse, damit er über den Damm kann. Der Fahrer hinter mir mag dem schlammigen Stück vertrauen – ich tue es nicht. Ich will zurücksetzen und ihm aus dem Weg fahren, doch ich kann mich nicht bewegen. Meine Hände liegen reglos in meinem Schoß wie die eines Quadriplegikers. Ein neuerliches Hupen.
    Ich kann mich nicht bewegen.
    Eine halbe Minute vergeht. Dann steigt ein Schwarzer aus dem Pick-up. Der Mann sieht aus, als wöge er hundertfünfzig Kilo. Er kommt nach vorn zu meinem Wagen. Er trägt ein T-Shirt, das sich eng über einer Brust spannt, die größer ist als meine, und er sieht nicht aus, als wäre er froh über die Verzögerung. Als er meine Tür erreicht, klopft er an die Seitenscheibe.
    Aus der Nähe hat der Mann ein freundliches Gesicht. Er sieht aus wie um die fünfzig, und obwohl es unwahrscheinlich ist, frage ich mich, ob das Schicksal mich hier und jetzt mit Jesse Billups zusammengebracht hat. Unter großer Anstrengung betätige ich den Schalter, der meine Seitenscheibe nach unten fährt.
    »Sie seh’n aus, als hätten Sie sich verfahren, Lady«, sagt er mit tiefer, melodischer Stimme.
    »Sind Sie Jesse Billups?«
    Der Mann verzieht den Mund zu einem breiten Lächeln. »Du lieber Gott, nein! Jesse is’ mein Cousin.«
    »Ist er heute auf der Insel?«
    »Jesse is’ immer auf der Insel.«
    »Ich muss mit ihm reden.«
    Der Mann neigt sich nach hinten und mustert meinen Audi, dann lacht er. » Sie machen Geschäfte mit Jesse? Das ist kaum zu glauben.«
    »Aber es ist so.«
    »Warten Sie … Sie sind von diesen Leuten von Sports Illustrated, die letztes Jahr im Frühling diese Bikini-Kollektion geschossen haben?«
    »Nein. Ich bin Catherine Ferry.«
    Ein verständnisloser Blick, dann ein Funke von Erkennen in seinen Augen.
    »Catherine DeSalle Ferry«, nenne ich meinen vollen Namen.
    Das Grinsen verschwindet. Der Mann richtet sich kerzengerade auf und stopft hastig sein T-Shirt in die Hose. »Bitte entschuldigen Sie, Ma’am, dass ich Sie nicht erkannt hab. Ich bin Henry Washington. Was kann ich für Sie tun? Möchten Sie, dass ich Sie über den Damm bringe und Jesse für Sie suche?«
    »Ist der Weg über den Damm sicher?«
    Washington legt den Kopf zur Seite. »Na ja, das ist ein dehnbares Wort, sicher. Ich bin schon oft über dieses alte Ding gefahren, und bis jetzt ist es noch nie eingestürzt. Aber eines Tages wird’s passieren. Dr. Kirkland sollte ein wenig mehr Geld in diesen alten Damm stecken. Das wäre für alle hier viel sicherer.«
    »Da haben Sie wohl Recht.«
    »Ich sag Ihnen was, Ma’am. Warum fahren Sie nicht mit mir zusammen rüber? Wenn Sie fertig sind mit Ihrem Treffen mit Jesse, bringt er Sie zurück. Und wenn er’s nicht kann, mache ich es.«
    »Das klingt gut.«
    Mit einem anderen Menschen zu reden – besonders einem Fremden – zwingt mich, in die Welt aus Zeit und Bewegung zurückzukehren. Nachdem ich den Audi unter einem Pekannussbaum geparkt und verschlossen habe, steige ich hinauf in die Kabine von Henrys Truck und hocke mich auf den Beifahrersitz.
    Dieser Truck ist ganz anders als der Pick-up aus meinen Albträumen. Ich sitze hoch über dem Boden, es gibt eine gute Musikanlage, dicke Polster und einen geräumigen Rücksitz. Der Truck in meinen Träumen ist alt und rostig und mit einer runden Motorhaube, die ihn aussehen lässt wie ein Spielzeug. Vom Boden ragt ein langer Schaltknüppel auf, und es gibt keine Polsterung, nicht einmal einen Dachhimmel.
    »Sind Sie verwandt mit Dr. Kirkland?«, fragt Henry, während er den Gang einlegt und den Truck langsam auf den weichen Boden des Damms steuert.
    »Er ist mein Großvater.«
    »Hm. Wie kommt es, dass ich Sie noch nie hier unten gesehen hab?«
    »Haben Sie wahrscheinlich. Aber es ist zehn Jahre her, seit ich das letzte Mal auf der Insel war, und noch länger, seit ich für längere Zeit dort gewesen bin.«
    »Na ja, es hat sich nicht viel verändert. Vor ungefähr fünf Jahren haben wir Strom bekommen. Vorher mussten wir Generatoren benutzen, wenn wir Strom gebraucht haben.«
    »Ich erinnere mich. Wie sieht es mit Telefon aus?«
    Henry klopft auf

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