Bisswunden
dem Festland stehen, neben der Anlegestelle der Fähre.«
»Und was benutzen Sie als Transportmittel auf der Insel?«
»Es gibt fünf Pick-ups auf der Insel, und Jesse hat von allen die Schlüssel. Früher hatte fast jeder einen Schlüssel, aber dann fing Dr. Kirkland an, sich wegen des Benzinverbrauchs zu ärgern, und jetzt hat Jesse sämtliche Schlüssel.«
»Und was machen Sie in einem Notfall?«
»Wir behelfen uns irgendwie. Aber Jesse ruft bestimmt gleich zurück. Er ist wahrscheinlich nur unterwegs, um zu überprüfen, ob alles für den Sturm festgezurrt ist oder in Sicherheit gebracht wurde. Das Fischerboot an der Südspitze vielleicht.«
»Nein. Er hat die Insel verlassen. Er hat gesagt, er müsste zum Festland, Vorräte besorgen.«
Louise sieht mich verwirrt an. »Das ist eigenartig. Jesse verlässt die Insel nur ganz selten. Und nie zur gleichen Zeit wie Henry.«
»Irgendjemand hat ihn auf dem Handy angerufen, und er meinte, er müsste augenblicklich los.
»Hat er gesagt, wer ihn angerufen hat?«
»Nein.«
»Das klingt eigenartig.« Sie zuckt die Schultern, dann geht sie zum Fenster und sieht nach draußen. Der Himmel ist noch dunkler geworden als vorher. »Wenn Jesse nicht zurückruft, können Sie bei mir übernachten. Ich weiß, dass Sie das nicht gewöhnt sind, aber ich kann auf dem Sofa schlafen. Sie können in dem Bett schlafen, das Ihr Vater gebaut hat.«
Ich stehe reglos in der stillen Luft der Hütte und lausche dem Trommeln des Regens, das die Klimaanlage übertönt. Meine Haut kribbelt. »Es gibt keine Garantie, dass der Damm morgen noch da ist, oder?«
»Kommt auf den Regen an. Aber wenn der Damm überflutet ist, kann jemand Sie mit dem Boot zum Wagen bringen.«
»Ich weiß das zu schätzen, aber ich denke, ich sollte besser jetzt zu meinem Wagen zurückkehren, wenn Sie glauben, dass ich es noch schaffen kann.«
Sie wendet sich vom Fenster ab und sieht mich an. »Oh, schaffen können Sie es, wenn es Ihnen nichts ausmacht, nass zu werden. Sie können mein Fahrrad nehmen. Das Gewitter ist nicht besonders stark. Wenn sie quer durch den Wald fahren, ist der Regen auch nicht so schlimm; die Bäume geben guten Schutz über dem Weg. Fahren Sie runter bis zum Jagdcamp, und wenn Sie den Weg zur Bootsrampe erreicht haben, fahren Sie am Ufer entlang, bis Sie beim Damm sind.«
»Das kann ich schaffen.«
»Sicher können Sie. Es ist noch nicht mal richtig dunkel. Nur bewölkt. Und ich habe ein Licht am Fahrrad. Ich bin schon mitten in der Nacht mit dem Fahrrad über die Insel gefahren, wenn es sein musste. Es ist sicher. Passen Sie nur auf, dass Sie auf dem Kies nicht ausrutschen und in einen Graben fahren oder so was. Dieses Jahr treiben sich jede Menge Schlangen hier rum.«
Ich erschauere. Die Erinnerung an die Schlangen in meinem Apartment steigt auf, als das Delirium tremens anfing. »Wie schnell steigt das Wasser? Kann es sein, dass der Damm schon überflutet ist?«
»Das bezweifle ich. Wenn der Fluss nicht sowieso schon Hochwasser hätte, müssten Sie sich überhaupt keine Gedanken machen. Aber Sie sind in zehn Minuten beim Damm. Wenn Sie ein Problem haben, rufen Sie mich auf dem Handy an. Bleiben Sie, wo Sie sind, und ich komme Sie holen.«
»Wie kommen Sie zu mir?«
»Zu Fuß.« Sie nimmt mein Handy und programmiert ihre Nummer ein. »Wenn es sein muss, bin ich ganz schnell da. Und falls Jesse zurückruft, schicke ich ihn hinter Ihnen her. Er kann Sie zur anderen Seite fahren und mir das Fahrrad zurückbringen.«
Ich gehe zur Tür, dann drehe ich mich noch einmal um und umarme Louise.
Sie drückt mich fest. »Sie machen eine schwere Zeit durch, Mädchen. Kommen Sie mal wieder vorbei und besuchen mich.«
Ich verspreche es, auch wenn ich insgeheim glaube, dass ich nie wieder einen Fuß auf die Insel setze. Dann gehe ich auf die Veranda hinaus und trage Louises Fahrrad hinunter auf den Weg.
»He!«, ruft sie mir hinterher. »Warten Sie!«
Ich stehe im Regen, während sie noch einmal im Haus verschwindet. Die Luft hier draußen ist grünlich, und der Himmel sieht aus wie vor einem Tornado. Der Wind bläst kräftig aus Süden, und die Regentropfen brennen auf meinem Gesicht. Ich hoffe, dass Louise einen Regenmantel für mich holt, doch als sie zurückkommt, hält sie einen transparenten Beutel mit einem Ziploc-Verschluss in der Hand.
»Für Ihr Handy!«, ruft sie über das Rauschen des Winds hinweg.
Ich nehme den kleinen Beutel, schiebe mein Telefon und meine Wagenschlüssel
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