Bisswunden
in die Wildnis Louisianas, um dort sein Glück zu machen. Geschlagen mit einem grausamen Vater, arbeitete Henri Leclerc DeSalle selbst wie ein Sklave, bis er sämtliche elterlichen Erwartungen übertraf. Im Jahre 1840 besaß er Baumwollfelder, die sich auf mehr als zehn Meilen entlang des Mississippi erstreckten. Und in jenem Jahr begann er, wie die meisten anderen Baumwollbarone seiner Zeit, mit dem Bau eines königlichen Herrenhauses am Steilufer über dem Mississippi in der schillernden, aufblühenden Stadt Natchez.
Die meisten Baumwollbarone bevorzugten den protzigen englisch-klassizistischen Stil, doch Henri, unendlich stolz auf seine Herkunft, brach mit der Tradition und ließ eine perfekte Kopie von Malmaison errichten, dem Sommerpalast von Napoleon und Josephine. Ursprünglich dazu gedacht, DeSalles Vater zu demütigen, wenn er eines Tages Amerika besuchte, wurden Malmaison und die angrenzenden Gebäude zum Zentrum eines Baumwollimperiums, das – dank der Yankee-Sympathien meiner Familie – sowohl den Bürgerkrieg als auch den Wiederaufbau ohne größere Schäden überstand. Es dauerte bis 1927 an, als der Mississippi in einer Flut von biblischen Ausmaßen über seine Ufer trat. Das folgende Jahr brachte Feuersbrünste über die Baumwollfelder, und im Jahre 1929 vollendete der Zusammenbruch der Aktien- und Wertpapiermärktedie sprichwörtlichen »drei schlechten Jahre«, die selbst wohlhabende Familien fürchteten.
Die DeSalles verloren alles.
Der Patriarch jener Zeit schoss sich durchs Herz, und seine Nachkommen schufen sich eine ärmliche Existenz neben den Schwarzen und den besitzlosen Weißen, die sie noch bis vor kurzer Zeit ausgebeutet hatten.
Doch im Jahre 1938 kehrte das Glück zu den DeSalles zurück.
Ein junger Geologe mit texanischen Geldgebern im Rücken pachtete ein riesiges Stück des brachliegenden DeSalle’schen Landbesitzes. Aufgrund einer Laune der louisianischen Gesetze war es dem Landbesitzer möglich, noch zehn Jahre nach dem Verfall der Besitzrechte Anspruch auf die Mineralvorkommen zu erheben. Mein Urgroßvater war außer sich vor Freude über das Pachtgeld – doch neunzehn Tage vor dem Ablauf seiner Mineralrechte entdeckte der junge Geologe eines der größten Ölfelder Louisianas. Es wurde »DeSalle-Ölfeld« getauft und erbrachte mehr als zehn Millionen Barrel Rohöl. Mein Urgroßvater kaufte jeden einzelnen Hektar der DeSalle’schen Ländereien zurück, einschließlich der Insel im Mississippi. Er kaufte auch Malmaison zurück und restaurierte das Schloss, bis es in seiner alten Vorbürgerkriegspracht erstrahlte. Der gegenwärtige Besitzer von Malmaison, mein Großvater mütterlicherseits, hält das Anwesen im ursprünglichen Zustand, sodass es vor zehn Jahren sogar die Titelseite des Architectural Digest zierte. Doch die Stadt, die das Schloss umgibt, scheint wie jede andere Stadt des Südens, die an der Interstate liegt, von der Industrie verlassen und zum langsamen Niedergang verdammt, auch wenn sie genauso gepflegt und gut erhalten ist wie beispielsweise Charleston oder Savannah.
Ich fahre um das Haupthaus herum nach hinten und parke vor einem der beiden Nebengebäude aus Ziegelstein. Die östlichen Sklavenunterkünfte – ein zweistöckiges Gebäude,größer als so manches Vorstadthaus – waren mein Zuhause während meiner Kindheit. Das Kindermädchen unserer Familie, Pearlie, wohnt im westlichen Nebengebäude, dreißig Meter entfernt, auf der anderen Seite des Rosengartens. Pearlie hat zuerst meine Mutter und meine Tante aufgezogen; dann wurde ich ihrer Obhut übergeben. Sie ist inzwischen weit über siebzig und fährt einen babyblauen Cadillac, den Stolz ihres Lebens. Das Fahrzeug steht glänzend in der Dunkelheit hinter dem Haus, und das Chrom wird regelmäßiger poliert als die Nobelkarossen der vornehmen weißen Damen in der Stadt. Pearlie bleibt oft bis spät in die Nacht auf, um fernzusehen, doch inzwischen ist Mitternacht vorbei, und ihre Fenster sind dunkel.
Der Wagen meiner Mutter ist nirgends zu sehen. Sie ist wahrscheinlich in Biloxi und besucht ihre ältere Schwester, die in einer bitteren Scheidung steckt. Auch der Lincoln meines Großvaters ist nicht da. Mit seinen siebenundsiebzig Jahren ist Großpapa Kirkland immer noch bemerkenswert vital, doch ein Schlaganfall vor einem Jahr hat seine Zeit als Autofahrer beendet. Unbeeindruckt hat er einen Chauffeur eingestellt und mit der gleichen Energie weitergemacht wie immer – eine Energie, die einen
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