Bisswunden
während meiner Pubertät. Ich mag dem Namen nach keine DeSalle sein– mein Vater war ein Ferry –, doch ich werde mehr oder weniger als DeSalle-Frau betrachtet, und der Name allein bringt eine Legion von Traditionen und Erwartungen mit sich. Tausend kleine Entscheidungen haben mich immer weiter fortgetragen von jener vorherbestimmten Straße auf eine andere, die mich niemals näher als auf Steinwurfweite an einen Ehemann herangeführt hat – eine Tatsache, die meine Mutter mich nie vergessen lässt. Offen gestanden bin ich dankbar dafür, dass ich heute Nacht angekommen bin und Mutter nicht im Haus ist.
Ich starre auf ein Foto, auf dem mein Vater triumphierend meine Hand hält, während das Valium in meine Blutbahn dringt und ich von einer gesegneten Ruhe übermannt werde. Mein Vater starb, als ich acht war; deshalb ist er der Einzige, den ich nie enttäuscht habe. Ich stelle mir gerne vor, er wäre noch am Leben und stolz auf das, was ich erreicht habe. Was meine Probleme angeht – nun ja, Luke Ferry hatte selbst Probleme gehabt.
Ich schlage die Tagesdecke von meinem permanent bezogenen Bett zurück und nehme mein Mobiltelefon aus der Tasche. Ein Anflug von Schuldgefühl erfasst mich, als ich auf das Display sehe. Dreizehn versäumte Anrufe. Ich drücke die 1, um meine Mailbox abzurufen, und lausche der ersten Nachricht. Sean hat mich angerufen, noch bevor ich Arthur LeGendres Haus verlassen habe. Mit beruhigender Stimme beschwört er mich, Ruhe zu bewahren, und dass Piazza sein Problem wäre und nicht meines, und dass ich mich zusammenreißen solle, bis er da wäre. Mit »da« ist mein Haus am Lake Pontchartrain gemeint. Ich überspringe mehrere Nachrichten. Die Veränderung in Seans Stimme ist erstaunlich.
»Ich bin’s wieder«, sagt er ärgerlich. »Ich bin immer noch vor deinem Haus, und ich habe nicht die geringste Ahnung, wo du steckst. Ruf mich bitte zurück, selbst wenn du mich nicht sehen willst. Ich weiß nicht, ob du betrunken in irgendeiner Absteige im Quarter rumhängst oder tot in einemStraßengraben liegst! Redest du eigentlich nicht mehr mit deinen Ärzten? Irgendetwas stimmt nicht, Cat, das weiß ich, und damit meine ich nicht die Morde. Hör zu … du musst mir vertrauen. Du weißt, dass du mir vertrauen kannst.« Eine Pause, Knistern. »Verdammt, Cat, ich liebe dich, und das ist doch alles Scheiße! Das ist der Grund, warum wir nicht schon längst zusammen sind! Ich sitze in diesem leeren Haus und …« Ein Klicken, dann Stille. Die Nachrichten waren länger als der zur Verfügung stehende Speicher des Anrufbeantworters.
Ich schlüpfe aus meiner Hose und ziehe mir die Bettdecke bis ans Kinn. Ich will Sean anrufen und ihm sagen, dass alles in Ordnung ist, aber die Wahrheit ist – nichts ist in Ordnung. Die Wahrheit ist, ich habe das Gefühl, als würde ich den Verstand verlieren. Und es gibt nichts, was Sean daran ändern könnte.
Das Mobiltelefon fällt mir aus der Hand, und ich sehe ein Bild des toten Arthur LeGendre auf dem Boden in seiner glänzenden Küche liegen, die schwarzen Socken über den weißen, stockdünnen Unterschenkeln. Über seinem Leichnam die Botschaft des Killers, in Blut gemalt: Meine Arbeit ist niemals getan. Erneut sehe ich die Bisswunden in LeGendres blutleerem Fleisch, eine weitere Serie in der endlosen Prozession von Narben und Verstümmelungen, die im Verlauf der letzten sieben Jahre an mir vorübergezogen ist. Ist das wirklich meine Arbeit? Wie kann jemand sein Lebenswerk darin sehen, etwas so Brutales, Kleines, irritierend Spezielles zu analysieren? Es muss mehr hinter meiner Berufswahl stecken. Doch was? Der mysteriöse Tod meines Vaters? Zu offensichtlich. »Meine Arbeit ist niemals getan«, murmle ich vor mich hin, während ich spüre, wie das Valium seine Wirkung entfaltet. Das Sedativum, das ich früher am Tag geschluckt habe, um gegen meine Entzugssymptome anzukämpfen, hat mir ein unerwartetes Geschenk bereitet: Traumlosen Schlaf. Ich habe seit Jahren keine derartige Erleichterung mehr verspürt.
»Danke«, flüstere ich der Droge zu, als wäre sie der Gottdes Schlafes. Meine linke Hand gleitet über meine Hüfte und kommt auf meinem Unterleib zu liegen. Meine rechte Hand schlüpft unter der Decke hervor und greift nach einer anderen Hand – einer Hand, die nicht da ist.
»Daddy?«, flüstere ich. »Bist du das?«
Er antwortet nicht.
Er antwortet nie, doch heute Nacht ist die sehnsüchtige Einsamkeit, die jeden Gedanken an meinen Vater
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