Bisswunden
begleitet, nicht ganz so unerträglich. Das Valium nimmt dem Schmerz die Schärfe und erleichtert meinen Abstieg in den Schlaf. Seit Jahren leide ich an Albträumen, und in jüngster Zeit scheint der Alkohol, den ich benutzt habe, um sie abzutöten, alles nur noch schlimmer zu machen. Doch das Valium ist eine unvertraute Droge, so frisch und wirksam wie der erste Drink, den ich damals zu mir genommen habe.
Heute Nacht umfängt mich der Schlaf wie die Tiefen des Ozeans bei einem Freitauchgang, eine helle obere Schicht, die sich in Intensität und Farbe vertieft, je weiter ich hinabsinke, nach unten schwimme, weiter und weiter, weg von dem Chaos der Oberfläche, hinein in die blaue Kathedrale der Tiefe. Mein Sanktuarium, meine Zuflucht vor der Welt und vor mir selbst. Keinerlei Gedanken, die über die nackten Anforderungen an das Überleben hinausgehen. Nichts als Frieden, der Segen, einen Ort zu betreten, den nur wenige Menschen ohne Luft aus der Flasche erreichen können, wo der Tod ein beständiger Begleiter ist und das Leben um so viel süßer durch das Bewusstsein, wie zerbrechlich es doch ist.
Hier bin ich gewichtslos.
Gestaltlos.
Ein Astronaut, der ohne Sicherheitsleine durch den tiefen Weltraum schwebt, ohne Angst, weil die Lebenserhaltungssysteme sich abgeschaltet haben, dass der Leib selbst das Überleben bewerkstelligen muss, weil sonst der Tod lauert. Jeder, der einen Funken Vernunft besitzt, würde wie irrsinnig strampeln, um an die Oberfläche zurückzukehren.
Ich nicht.
Weil ich hier unten frei bin.
Ich weiß nicht, wie lange ich auf diese Weise schwebe, weil die Zeit hier keine Bedeutung besitzt. Ich weiß nur, dass ich anscheinend schlafe, weil die Zeit bei einem echten Freitauchgang von allergrößter Bedeutung ist. Zeit ist gleich dem verbliebenen Sauerstoff im Blut, der einzigen Währung, die einem Tiefe erkaufen kann, und Tiefe ist der Heilige Gral, der einzige Sinn dieser ganzen verrückten Übung. Oder zumindest ist es nach außen hin so.
Dieser Teil verwirrt mich, offen gestanden. Weil man den Boden niemals erreichen kann. Nicht in einem realen Ozean. Nur auf dem Land ist das möglich.
Ich kehre an die Oberfläche zurück. Ich weiß es, weil das Meer unversehens seine Versuche einstellt, meinen Nassanzug in jede meiner Körperöffnungen zu pressen, und weil über mir blau-weißes Licht blitzt. Ein plötzlicher Sturm? Ich spanne mich an gegen das unausweichliche Donnerrollen, doch es bleibt aus. Als der Blitz erneut aufzuckt, dringt ein merkwürdiges Geräusch in mein Bewusstsein. Kein Donnern – nicht einmal das Plätschern der Wellen gegen den Rumpf meines Tauchboots. Es ist mehr das leise Klicken eines Kameraverschlusses. Als ich schließlich die Oberfläche durchbreche, rieche ich Aceton und nicht das Ozon, das normalerweise einem Blitzschlag folgt. Ich blinzele verwirrt. »Sean?«, rufe ich. »Sean, bist du das?«
Eine dunkelbraune Stirn und untertassengroße Augen tauchen hinter dem Fußende meines Bettes auf. Eine Nase und ein Mund folgen, ein verwunderter, weit offen stehender Mund. Ich blicke in das Gesicht eines schwarzen Mädchens von vielleicht acht Jahren. Es besitzt das erstarrte Aussehen eines Kindes, das einen vertrauten Hof zum Spielen betritt und sich unversehens einem fremden Hund gegenübersieht.
»Wer bist du?«, frage ich, während ich noch überlege, ob das Mädchen echt ist oder ob ich träume.
»Natriece«, sagt sie mit beinahe trotziger Stimme. »Natriece Washington.«
Ich blicke mich in meinem Zimmer um, doch außer Sonnenlicht, das durch die Ritzen zwischen zwei Vorhangbahnen flutet, erkenne ich nichts. »Was machst du hier, Natriece?«, frage ich.
Die Augen des Mädchens sind noch immer weit. »Ich bin mit meiner Oma hier. Ich wollte keine Unordnung machen.«
»Deiner Oma?«, frage ich. Der Geruch nach Aceton wird immer stärker.
»Miss Pearlie.«
Plötzlich stürzt alles wieder auf mich ein. Der Anruf von Sean. Die Leiche in dem Haus in der Prytania Street. Die irrsinnige nächtliche Fahrt nach Natchez. Was für eine Ironie festzustellen, dass man im nüchternen Zustand verrücktere Dinge tut als jemals im betrunkenen.
»Wie spät ist es?«
Das Kind zuckt übertrieben die Schultern. »Ich weiß nicht. Morgen.«
Ich schiebe das Laken zur Seite und krieche nach unten zum Fußende des Bettes. Der Inhalt meiner beiden forensischen Koffer liegt verstreut auf dem Boden. Natriece hat meine Kamera in den Fingern; der Blitz scheint die Ursache für mein
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