Bisswunden
von meinem eigenen Fuß stammt? Blutflecken können auf manchen Oberflächen jahrzehntelang erhalten bleiben.
»Los, verschwindet!«, flehe ich. Doch mein Betteln und Flehen nutzt nichts.
Ich habe fünfzehn Jahre lang getrunken. Inzwischen bin ich seit achtundvierzig Stunden nüchtern, doch nie zuvor habe ich einen Drink so dringend gebraucht.
6
M eine Instinkte sind in hellem Aufruhr. Während ich auf die beiden fluoreszierenden Fußabdrücke starre, will eine Hälfte von mir davonlaufen, während die andere am liebsten die Tür versperren würde. Ich will Fotos von diesen Abdrücken, doch dazu muss ich rasch handeln. Nachdem die chemische Reaktion, die das verborgene Blut im Teppich zum Fluoreszieren bringt, erst einmal abgeklungen ist, lässt sie sich nicht wiederholen.
Die Eingangstür des Sklavenhauses fliegt krachend ins Schloss. Pearlie. Ich durchquere das Schlafzimmer und verschließe die Tür. Dann öffne ich den Koffer mit meiner Kamera, nehme meine Spiegelreflex hervor, befestige ein 35-Millimeter-Standardobjektiv und einen Kabelauslöser daran. Verdammt. Ich habe vergessen, mein Stativ aus dem Kofferraum des Wagens mitzunehmen.
Jemand klopft energisch an meine Zimmertür. Ein vor meinem geistigen Auge aufsteigendes Déjà-vu sagt mir, dass der Rhythmus zu Pearlie gehört.
»Catherine Ferry?«, ruft eine kehlige Stimme, die mir so vertraut ist wie die meiner Mutter. »Bist du da drin, Mädchen?«
»Ich bin hier, Pearlie.«
»Was machst du zu Hause? Das letzte Mal warst du vor … ich weiß nicht einmal mehr, wie lange es her ist! Warum hast du nicht vorher angerufen?«
Ich habe keine Zeit, ihr die Situation zu erklären. »Ich komme gleich raus, okay?«
Ich packe meine Wagenschlüssel, schiebe das Fenster hoch, steige hinaus und renne zum Wagen. Mit dem Stativ in der Hand klettere ich in mein Zimmer zurück, schließe die Vorhänge und baue das Stativ fast genau über den Abdrücken auf. Pearlie klopft immer noch an die Tür. Nachdem ich die Kamera befestigt und auf die Abdrücke gerichtet habe, schalte ich das Licht ein und schieße ein Referenzfoto der Stelle am Boden. Dann schließe ich das Objektiv um zwei Blenden und nehme ein Lineal aus meinem Koffer, das an den Zollmarkierungen mit Kupferdraht umwickelt ist. Das Kupfer fluoresziert, wenn es mit Luminol besprüht wird. Ich lege das Lineal neben den Fußabdruck und sprühe sowohl Lineal als auch Abdruck mit weiterem Luminol ein. Dann warte ich.
»Was machst du da drin?«, verlangt Pearlie zu erfahren. »Hat Natriece Unsinn angestellt?«
»Alles in Ordnung«, entgegne ich. »Ich komme gleich raus, nur noch eine Minute!«
Ich höre die leisen, drängenden Worte, als Pearlie ihre Enkeltochter verhört.
Als das grünlich weiße Leuchten an Intensität zunimmt, öffne ich den Kameraverschluss mit dem Kabelauslöser und blicke auf meine Taucheruhr. Um das schwache Leuchten der Verbindung aus Luminol und Blut in der Dunkelheit einzufangen, muss ich sechzig Sekunden lang belichten. Meine Händezittern schrecklich, doch der Kabelauslöser verhindert, dass die Bilder verwackeln. Diesmal kommt der Tremor nicht von Medikamenten oder vom Alkoholentzug. Diesmal ist es Angst. Dieselbe scheußliche Angst, die mich in der Küche des ermordeten LeGendre überfallen hat, und davor am Schauplatz der Ermordung von Nolan. Wäre nicht der Fußabdruck des Kindes daneben, würde ich wahrscheinlich annehmen, dass der Stiefelabdruck vom Blut von Rotwild herrührt. Die Tiere streifen oft über das Gelände von Malmaison, und es ist bekannt, dass mein Großvater hin und wieder einen Bock schießt, manchmal sogar aus dem Fenster seines Arbeitszimmers. Doch neben dem Stiefelabdruck ist der des Kindes …
Als meine Uhr sechzig Sekunden anzeigt, schließe ich den Verschluss. Dann, um ganz sicher zu sein, dass die Fußabdrücke auch auf dem Bild sind, öffne ich die Blende um eins und wiederhole den Vorgang. Pearlie draußen hält es offensichtlich nicht länger aus.
»Catherine DeSalle Ferry! Mach sofort die Tür auf!«
Das vertraute Ritual der Tatortfotografie beruhigt meine Nerven. Gewohnheiten haben einen wundervoll beruhigenden Einfluss – selbst schlechte Gewohnheiten, wie ich vor langer Zeit herausgefunden habe.
»Gib Antwort, Mädchen! Ich kann deine Gedanken nicht mehr lesen wie früher mal. Du bist zu erwachsen geworden, und du warst zu lange fort!«
Ich muss trotz meiner Angst lächeln. Im Jahr nach dem Tod meines Vaters – dem Jahr, in dem ich nicht
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