Bitte Einzelzimmer mit Bad
Eigentlich hatte Tinchen in einem Reisebüro etwas mehr Betriebsamkeit erwartet.
»Im Augenblick ja«, sagte Sibylle, »das heißt, so ganz stimmt das auch wieder nicht. Normalerweise sitzt hier noch eine Kollegin von mir, aber wir haben es vorgezogen, in Raten zu frieren. Eine hält die Stellung, die andere wärmt sich auf. Zum Glück haben wir gleich um die Ecke eine Cafeteria. Scheußlich ungemütlich, aber wenigstens geheizt. Möchten Sie noch einen Tee?« Aufmunternd winkte sie mit der Kanne.
»Ja, gerne, aber diesmal ohne Rum. Immerhin habe ich noch ein wichtiges Gespräch vor mir.«
»Dann bringen Sie es am besten gleich hinter sich.« Sibylle sah flüchtig zum Telefon. »Herr Dennhardt hat gerade aufgelegt. Nehmen Sie die Tasse ruhig mit, etwas Wärmeres werden Sie drüben auch nicht finden.« Sie öffnete die Tür zum Nebenzimmer und schob Tinchen vor sich her. »Herr Dennhardt, hier ist Fräulein Pabst aus Düsseldorf. Ich habe sie schon ein bißchen aufgetaut, aber machen Sie es trotzdem nicht allzu lange, sie ist nämlich absolut nicht winterfest angezogen.«
Die Tür schloß sich hinter Tinchen. Neugierig sah sie zu dem Herrn auf, der hinter seinem Schreibtisch hervortrat. Etwa vierzig Jahre alt, Manchesterhosen, Skipullover, dicke Lederjacke, Stiefel. Er stellte Tinchens Tasse auf einen kleinen runden Tisch und reichte ihr die Hand.
»Guten Tag, Fräulein Pabst. Ich freue mich, daß endlich mal jemand kommt, der wirklich so aussieht wie auf dem Foto. Die meisten Bewerberinnen haben Bilder geschickt, die mindestens zehn Jahre alt sind.«
Mitleidig sah er Tinchen an, die vergeblich das Zähneklappern zu unterdrücken suchte. »Ist Ihnen sehr kalt? Möchten Sie einen Kognak zum Aufwärmen?«
»Nein, danke, mir ist schon der Rum in den Kopf gestiegen.«
»Macht nichts, ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, von alkoholisierten Mitarbeitern umgeben zu sein. Wenn die Heizung nicht bald funktioniert, werden wir alle im Delirium tremens enden. Hoffentlich kriegt der Architekt die Beerdigungskosten aufgebrummt.« Er trat wieder hinter seinen Schreibtisch und nickte Tinchen zu.
»Warum setzen Sie sich nicht?«
Diesmal war es ein Ledersessel, in dem sie Platz nahm. Dennhardt schlug einen Aktendeckel auf. »Also, Fräulein Ernestine Pabst, nun verraten Sie mir einmal, was Sie sich unter Ihrer künftigen Tätigkeit vorstellen!«
Ach, du liebe Zeit! Unruhig rutschte Tinchen auf ihrem Sessel hin und her. Auf alle möglichen Fragen war sie vorbereitet, nur auf diese nicht. Sie hatte doch gar keine Ahnung, was von ihr erwartet wurde. »Ja, ich dachte … ich nehme an, daß … in erster Linie …« Dann sagte sie entschlossen: »Eigentlich habe ich mir überhaupt nichts Konkretes gedacht. Vermutlich suchen Sie Leute, die Omnibusfahren vertragen, Geschichtszahlen herunterbeten und Karten lesen können, damit man abends auch am richtigen Etappenziel ankommt. Diese Bedingungen kann ich erfüllen. Was sonst noch gebraucht wird, weiß ich nicht.«
Dennhardt brach in schallendes Gelächter aus. »Aus welchem Märchenbuch haben Sie denn diese Weisheiten her? Wir sind ein ganz kleines bescheidenes Reiseunternehmen, das noch aus Idealisten besteht und seine Kunden individuell betreuen möchte. Die wollen sich nämlich gar nicht bilden, sondern erholen, und das ohne Bevormundung, aber nach Möglichkeit auch ohne Ärger. Wir haben nicht den Ehrgeiz, sie von einer geschichtsträchtigen Ruine zur anderen zu karren, sondern wir möchten ihnen helfen, ihre spärlichen Urlaubstage so unbeschwert wie möglich zu verbringen. Also keine Auseinandersetzungen mit Hoteliers wegen knarrender Betten, keine Kämpfe um Liegestuhl und Sonnenschirm, keinen Ärger mit geklauten Fotoapparaten und so weiter. Deshalb werden wir in jedem unserer ohnehin noch nicht sehr zahlreichen Ferienorte einen Reiseleiter installieren, der sich um den ganzen Kram kümmert, der auch mal seelischer Mülleimer spielt, und der ein bißchen Eigeninitiative entwickelt, falls sich irgendwo doch mal Begräbnisstimmung ausbreitet. Und weil die meisten unserer Kunden jüngere Leute sind, möchten wir ihnen als Kindermädchen natürlich keine in Ehren ergraute Matronen vorsetzen. Würden Sie sich diesen Job zutrauen?«
»Ja, ohne weiteres!« erwiderte Tinchen prompt. »Eine Redaktion besteht zu sechzig Prozent aus Verrückten, und der Rest ist auch nicht ganz normal, sonst hätte er einen vernünftigen Beruf gewählt. Darüber hinaus habe ich einen Bruder im
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