Bitte Einzelzimmer mit Bad
sich neben der Treppe ausbreiteten.
»Das ist ja wirklich ein Schloß!« flüsterte Tinchen andächtig. Brandt lächelte spöttisch. »Märchengläubige kleine Mädchen soll man nicht enttäuschen!« Er öffnete die Tür und ließ sie eintreten.
»Du solltest aber vorsichtshalber keine livrierten Diener erwarten, die dich zu einem baldachingekrönten Prunkbett führen! Der Torre vecchio ist ein ganz simples Speiserestaurant, allerdings ein sehr gutes!«
Von einer Halle führten Türen in mehrere kleine Speisesäle. Fast jeder Tisch war besetzt, und zwar überwiegend von Italienern, wie Tinchen mit einem kurzen Blick feststellte.
»Eisbein mit Sauerkraut gibt’s hier genausowenig wie fish and chips!« erklärte Brandt die fehlende Invasion hungriger Touristen.
»Setzen wir uns auf die Terrasse?«
Am dienernden Maître vorbei führte er sie ins Freie. Eine halbhohe Mauer aus uralten Steinen begrenzte einen kleinen Platz, auf dem nur vier Tische Platz gefunden hatten. Einer war noch frei. Brandt rückte Tinchen den Stuhl zurecht und vertiefte sich zusammen mit dem herbeigeeilten Kellner in die Speisekarte, deren Lektüre längere Zeit in Anspruch nahm. Von der in schnellem Italienisch geführten Unterhaltung verstand Tinchen kaum die Hälfte, aber es schien sich um das schwerwiegende Problem zu handeln, ob der prosciutto di parma auch wirklich von dort stammte und wann man die piccioni hereinbekommen habe.
»Mögen Sie Langusten?«
Nein, wollte Tinchen sagen, die diese nur aus Fühlern und Beinen bestehenden Schalentiere lediglich im Aquarium gesehen hatte und sich nicht vorstellen konnte, daß so etwas überhaupt eßbar sei, aber sie wußte natürlich, daß sie als Delikatesse galten und bei Feinschmeckern sehr beliebt waren.
»Die esse ich sogar leidenschaftlich gern!« versicherte sie im Brustton der Überzeugung, nicht gewillt, sich mit ihrem eher der soliden Hausmannskost zugeneigten Geschmack zu blamieren. Und was, um alles in der Welt, waren piccioni? Klang irgendwie nach Gemüse! Na, sie würde sich einfach überraschen lassen! Vorsichtshalber angelte sie eine Scheibe Weißbrot aus dem bereitgestellten Körbchen, bestrich sie dick mit Butter und biß hinein. Wer weiß, ob sie von dem, was sie erwartete, überhaupt satt werden würde.
Der Kellner zog ab und kehrte gleich darauf zurück. In seinen Armen trug er ein Bastkörbchen, das er wie ein Baby an die Brust gedrückt hielt und dann andachtsvoll präsentierte.
»Va bene«, sagte Brandt, nachdem er probiert hatte, und nickte. In einem leuchtenden Rot floß der Wein in die Gläser.
»Die Farbe suche ich schon lange«, murmelte Tinchen.
»Wofür denn?«
»Für meinen Nagellack!«
Einen Augenblick lang hatte es Brandt die Sprache verschlagen, dann lachte er schallend los. »Dein Hang zum Prosaischen ist wirklich entsetzlich, Tina! Da führe ich dich in eins der besten Restaurants an der ganzen Küste, lasse dir einen Port zelebrieren, nach dem sich alle rotnasigen Weinkenner die Finger lecken würden, und du denkst an Nagellack!« Er hob sein Glas. »Prosit, Aschenbrödel, trinken wir auf den verlorenen Schuh, dem ich diesen Abend zu verdanken habe.«
Das stimmte sogar. Ursprünglich hatte sich Tinchen nur nach Verenzi zurückbringen lassen wollen, vor allem deshalb, weil sie Brandt das verauslagte Geld wiedergeben wollte. Aber dann war ihr in dem Schuhgeschäft regelrecht schlecht geworden, und Brandt hatte angeordnet, daß sie erst einmal etwas essen müsse. Richtig diktatorisch war er geworden! Nun saß sie hier in diesem Luxusschuppen mit 325 Lire in der Tasche und dem Gefühl, wirklich ein Aschenbrödel zu sein, zu dem ein leibhaftiger Prinz herabgestiegen war und sie in eine ganz andere Welt geführt hatte. Bei Florian hatte es immer nur zu McDonald’s gereicht!
Tinchen gab sich einen Ruck. Wie kam sie nur ausgerechnet jetzt auf Florian?
»Wo sind wir hier eigentlich?« fragte sie um einiges zu munter, denn Brandt machte keinerlei Anstalten, die versikkerte Unterhaltung wieder in Gang zu bringen.
»In Corsenna. Es wird behauptet, vor Jahrhunderten sei es ein Schlupfwinkel von Seeräubern gewesen. Daran muß was Wahres sein. Ihre Nachkommen haben ein Restaurant daraus gemacht und plündern ahnungslose Besucher genauso schamlos aus wie ihre Altvorderen. Nicht umsonst gelten die Italiener als sehr traditionsbewußt.«
Eine Prozession von Kellnern nahte, beladen mit Beistelltischen und furchterregenden Gerätschaften. Vor Tinchen wurde ein
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