Bitte Einzelzimmer mit Bad
Er wickelte sich noch enger in seine Windjacke und schloß die Augen. Sollten sie ihn doch endlich in Ruhe lassen.
»Ist das nicht meine?« Florian prüfte mißtrauisch den hellgrauen Popelineärmel.
»Natürlich ist das deine! Du willst doch sicher nicht, daß dein weißer Pullover dreckig wird!«
»Könnt ihr nicht endlich mal den Mund halten!« zischte Tinchen leise, »gelegentlich möchte ich auch mal etwas sagen!«
Die Begrüßungsrede konnte sie inzwischen rückwärts, die üblichen Witzchen, zehnmal erprobt und immer wieder Heiterkeitserfolge, kamen ebenfalls an, und nach dem Hinweis, daß man in San Remo eine Kaffeepause einlegen werde, schaltete sie das Mikrofon wieder ab.
»Jetzt gucken sie noch zehn Minuten lang in die Gegend, dann fangen sie an zu essen, und danach schläft die Hälfte.«
»Fräulein, wissen Sie, wie der Berg da drüben heißt?« Der Herr mit dem Baedeker war aufgestanden und zeigte nach rechts. »Ich meine den da hinten mit dem Turm obendrauf.«
Tinchen suchte Hilfe bei Luigi, aber der zuckte nur mit den Schultern. »Das ist der Monte Gallo«, behauptete sie entschlossen, wobei sie den Fahrer entschuldigend anlächelte. Luigi grinste zurück. Er hätte sich nie träumen lassen, daß sein Familienname, der ganz prosaisch ›Hahn‹ lautete, einmal zu topographischen Ehren kommen würde.
»Wieviel mag so ein Berg wohl wiegen?«
Florian sah Tinchens entgeistertes Gesicht und wandte sich höflich nach rückwärts: »Meinen Sie mit Turm oder ohne?«
»Nun sei doch mal still, Karlheinz! Wir können die Angaben ja doch nicht auf ihre Richtigkeit prüfen!« Die Baedeker-Gattin zog ihren Mann wieder auf den Sitz zurück.
»Man wird ja wohl noch fragen dürfen«, knurrte der und vertiefte sich wieder in seinen Wälzer.
»Fünfunddreißig Mark pro Person, und du liest ein Buch! Warum bist du überhaupt mitgekommen?«
»Weil ich wissen will, ob auch alles stimmt, was hier drinsteht!«
Endlich San Remo. Zuerst drängten diejenigen aus dem Bus, die schon seit einiger Zeit unruhig auf ihren Sitzenherumgerutscht waren und nun eilig in die nächste Bar stürzten. Der Inhaber, an derartige Invasionen gewöhnt und bemüht, zur vermutlichen Ankunftszeit die Toilette freizuhalten, brühte deutschen Kaffee auf. Tinchen bekam ihren umsonst, dazu ein frisches Croissant und eine Pakkung Nazionali grün, die billigste Zigarettensorte und ungenießbar. Sogar Karsten lehnte sie ab.
Die Herde bestellte Kaffee und wollte wissen, wie es nun weitergehe. »Sie haben eine Stunde zur freien Verfügung«, verkündete Tinchen. »Ich empfehle Ihnen einen kleinen Bummel durch die Pigna, also die Altstadt, und vielleicht einen Blick in die orthodoxe Kirche. Allerdings möchte ich betonen, daß Sie dort keine Gelegenheit zum Schwimmen haben. Es ist daher unnötig, die Kirche in Strandkleidung zu betreten. Und seien Sie bitte pünktlich um zehn Uhr wieder am Bus!«
Florian hakte Tinchen unter und zog sie ins Freie. »Jetzt zeigst du mir, wo die ollen Kaiser und Könige immer ihr Zipperlein kuriert haben!« Und zum hinterhertrottenden Karsten:.»Du störst! Hier hast du tausend Lire, geh so lange ins Kino!«
Violette Blütenkaskaden fielen von der Mauer bis fast auf den Weg, vermischten sich mit den raschelnden Gräsern und ließen Tinchen vergessen, daß ein paar hundert Meter weiter der Verkehr brodelte und eine Schar Touristen auf sie und den Weitertransport wartete. Schön war dieser Spaziergang gewesen, erst am Meer entlang und dann oben durch die halbverwilderten Gärten. Aprikosen hatte Florian geklaut und Petersilie, weil die in Deutschland immer so teuer ist. »Hier wächst das Zeug wie Unkraut, nicht zu fassen!« hatte er gesagt und sich ein paar Stengel ins Knopfloch gesteckt. Dann hatte er Tinchen geküßt und ihr Margeriten ins Haar geflochten. In einer davon hatte eine Spinne gesessen, und mit der Romantik war es wieder einmal vorbei gewesen. Spinnen an der Wand waren schon schlimm genug, krabbelnd im Halsausschnitt beinahe ein Grund zum Herzinfarkt! Schreiend war Tinchen aufgesprungen und hatte das Tier abgeschüttelt.
Jetzt stapfte sie verbissen schweigend den holprigen Weg entlang. Was war nur mit ihr los? Einen Augenblick lang hatte sie Florians Umarmung an jenen Nachmittag in Loano erinnert, und sie hatte sich gewünscht, daß nicht er, sondern Klaus Brandt ihr die Blumen ins Haar steckte, aber dann war ihr wieder die letzte Begegnung eingefallen, der korrekte Herr im grauen Flanell mit den
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