Bitte Einzelzimmer mit Bad
untadeligen Manieren, und sie hatte ganz schnell die Augen aufgemacht. Prinzen gehörten eben in Märchen, und Märchen erlebt man nur einmal! Punktum, Ernestine!
Vor der Bar wimmelte die Herde durcheinander und vermischte sich mit einer Omnibusfracht reisender Amerikanerinnen. Tinchen kämpfte sich zu dem dösenden Luigi durch. »Drücken Sie mal auf die Hupe!«
Die gehorsamen Schafe versammelten sich. »Sind alle da?« Vergebens reckte sie den Hals, um ihre Mannschaft zu überblicken. Sie war einfach ein paar Zentimeter zu klein.
»Warum zählst du nicht die Beine und dividierst durch zwei?« schlug Karsten vor, aber Florian hatte bereits die Initiative ergriffen.
»Erst mal alles einsteigen! Dann kontrolliert jeder, ob sein Nebenmann da ist! Wenn keiner fehlt, können wir abfahren!«
Niemand fehlte, es war im Gegenteil einer zu viel an Bord.
»Das ist Jürgen!« stellte Karsten vor. »Der will nach Frankreich trampen. Da habe ich gesagt, daß er mit uns fahren kann, wir haben doch noch zwei Plätze frei.«
Um den neuen Passagier kümmerte sich niemand. Alle waren damit beschäftigt, die soeben erworbenen Souvenirs auszupacken und Preisvergleiche anzustellen. Herr Baedeker hatte eine Wanderkarte gekauft und suchte jetzt den Monte Gallo. Seine Gattin häkelte Grünes. Tinchen erläuterte die bevorstehenden Grenzformalitäten, gab den Wechselkurs bekannt und das Porto für Ansichtskarten nach Deutschland, merkte aber bald, daß kaum jemand zuhörte, und sparte sich den Rest. Erst jenseits der Grenze wurden die Insassen wieder munterer. Herr Baedeker knipste Felsen. Tinchen griff wieder zum Mikrofon und kündigte eine kurze Fotopause an. Man nähere sich einem bekannten Aussichtspunkt, von dem aus man einen herrlichen Blick über Monaco habe. Neue Filme wurden in die Kameras gelegt.
»Rechts sehen Sie die Grande Corniche, während es auf der linken Seite rund siebzig Meter in die Tiefe geht. Wer nicht runtergucken will, sollte die Augen schließen«, empfahl Tinchen, der schon auf einer gewöhnlichen Haushaltsleiter schwindlig wurde.
Hoffentlich ist dieser Viehtrieb bald zu Ende! Florian hatte sich in den Schatten einer Agave gesetzt und beobachtete Tinchen, die mit fremden Fotoapparaten hantierte und wunschgemäß Mama, Papa und Tochter Heidelinde vor der Skyline von Monte Carlo knipste oder Herrn und Frau Kruse, eine Palme stützend.
Dann war auch dieser Programmpunkt abgehakt, und die Herde trottete willig zurück zum Bus.
Nächste Station: Spielkasino. Viel Stuck und Plüsch, verstaubtes Relikt der einstigen mondänen Welt, müde herabhängende Palmwedel, ein goldstrotzender Portier, am Billettschalter eine verblühte Schönheit mit Schal und Strickjacke. Zwei Roulette-Tische waren besetzt, die anderen, mit weißen Tüchern abgedeckt, erinnerten an ein Leichenschauhaus. Florian wechselte zwanzig Mark in Chips und drückte sie Tinchen in die Hand.
»Setz’ du für mich! Bei so was habe ich niemals Glück. Wenn ich mir bei einer Tombola zehn Lose kaufe, gewinne ich höchstens einen Kugelschreiber oder zwei Eintrittskarten für ein Billardturnier, das schon vor vier Wochen stattgefunden hat.«
»Laßt mich doch mal ran!« bat Karsten. »Ich habe noch nie Roulette gespielt. Neulinge sollen doch immer Glück haben, und vom Gewinn lade ich euch zum Essen ein!« Siegessicher plazierte er die Chips auf Manque und Impair. Es kam die Achtundzwanzig, worauf er beschloß, auf das bekannte Sprichwort zu vertrauen und es lieber noch einmal mit der kleinen Italienerin zu versuchen.
»Reisen bildet«, tröstete Tinchen. »Man lernt, wie schnell man sein Geld loswerden kann!«
»Habt ihr euch mal das Publikum angeguckt? Fast nur Frauen, und alle irgendwo zwischen fünfundsiebzig und scheintot. Verspielen die hier ihre Rente?«
»Das sind die Zeichen der Zeit, Karsten. Wenn heutzutage Großmütter am schnurrenden Rade sitzen, dann höchstwahrscheinlich im Spielkasino«, sagte Florian. »Können wir jetzt wieder gehen? Oder muß noch etwas besichtigt werden?«
»Aquarium, Botanischer Garten, Schloß mit Wachtparade …«
»Der Himmel bewahre mich vor diesem Kasperltheater! Diese Pseudosoldaten erinnern mich immer an den Nußknacker, der bei meiner Oma auf’m Vertiko stand.« Florian schüttelte den Kopf. »Mein Bildungshunger ist erst mal gestillt. Ich suche mir jetzt ’ne Bockwurstbude!«
Am liebsten wäre Tinchen mitgegangen, aber sie sah sich schon wieder umringt von ihrer Herde, die das Fürstenpaar sehen
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