Bitte nicht füttern: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Gäste hatte.
»Herzlich willkommen, liebe Freunde und Verwandte von nah und fern!« Lächelnd legte er seinem Vater eine Hand auf die Schulter. »Danke, dass ihr an diesem besonderen Tag hier seid und ihn mit uns feiert. Ich möchte ein paar Worte über die Liebe sagen, wenn’s recht ist, denn schließlich ist das hier heute ein Fest der Liebe. Viele von euch glauben, wahre Liebe sei, wenn man jemanden findet, der einen ergänzt. Jemanden, mit dem man das Gefühl hat, endlich ein ganzer Mensch zu sein. Ich glaube das nicht. Ich glaube, wahre Liebe ist nicht, jemanden zu finden, der eine Lücke ausfüllt, sondern jemanden, der einem bewusst macht, dass man die ganze Zeit schon ein ganzer Mensch war, egal, wie viele Schwächen und Fehler man hat. Jemanden, der einen so nimmt, wie man ist. Jemanden, der einen bereichert, der einen nicht zu Höchstleistungen antreibt, sondern einem mit seiner Liebe und seinem Vertrauen ganz automatisch Flügel verleiht. Auf meine Pip ...« Er füllte das leere Glas, das er von Linda gemopst hatte und hob es in Richtung seiner Frau, die lächelte und so pink anlief, wie Judys Seidenkleid glänzte. »... die mit ihrer Liebe und ihrem Vertrauen aus mir einen besseren Menschen und unendlich glücklichen Mann gemacht hat. Glücklicher als je zuvor.«
Es folgten weitere Reden, denen die meisten ergriffen oder zumindest gerührt zuhörten.
Antonio aber ließ sich nur schwer ablenken. Als es dunkel wurde, setzte Musik ein und einige leicht angetrunkene Gäste forderten einander zum Tanz unter Sternen, Apfelbäumen und Papierlaternen auf. Doch statt diese romantische Stimmung in sich aufzusaugen wie der Rest seiner Familie, stand Antonio unvermittelt auf.
»Oh Gott.« Inez stupste Linda mit dem Ellbogen an. »Ich glaube, Papá will tanzen!«
»Vergiss es!« Linda grinste ihre Schwester an. »Den lockt nicht die Musik.«
Tatsächlich steuerte Antonio nicht die anderen Tänzer an, sondern die dunklen Weingärten.
»Was hab ich gesagt?«, lachte Linda. »Er kann einfach nicht aus seiner Haut – er muss nach den geliebten Reben sehen.«
»Die ja – gleich nach Mamá – seine einzig wahre Liebe sind«, zwinkerte Inez.
Linda witterte eine günstige Gelegenheit, mit ihrem Vater zu sprechen, und folgte ihm.
Er stand am Rande des Weingartens, in dem Beau und Pip geheiratet hatten, an einen Zaun gelehnt und betrachtete die Wiese, die für die Bepflanzung mit Rebstöcken vorbereitet wurde.
Schweigend stellte Linda sich neben ihn.
Sie wollte, dass er anfing zu reden. Und das tat er auch, ohne sie dabei anzusehen.
»Sieht gut aus so weit. Die Reben sind gesund und stark. Aber sie haben noch viel zu tun. Sie wollen noch zwei Weingärten von insgesamt vier Hektar oder so anlegen, wie sollen sie das schaffen, wenn Balthazar als Einziger Vollzeit an dem Projekt arbeitet ...«
Das war ihre Chance!
Linda lehnte sich neben ihm auf den Zaun, folgte seinem Blick über die noch brachliegenden Weiden und nickte ernst.
»Ich fürchte, du hast recht, Papá. Das ist einfach zu viel für ihn allein. Ich glaube, sie könnten Hilfe gebrauchen. Aber es muss jemand sein, der sich auskennt.«
»Und hast du einen Vorschlag, wer das sein könnte?« Ihr Vater zog die Augenbraue hoch und verriet mit einem Schmunzeln, dass er genau wusste, was ihr vorschwebte.
»Wenn du mich ein paar Wochen entbehren kannst, könnte ich doch einfach hierbleiben und Beau und Pip helfen. Pips Familie packt ja wirklich nach Kräften mit an, aber ich glaube, sie könnten gut jemanden gebrauchen, der Ahnung von Reben und so hat ...«
Antonio war nicht dumm.
»Sie wären dir sicher sehr dankbar, Kleines. Und vielleicht ... Würde das auch deine Reiselust ein klein wenig befriedigen. Deine Neugier auf fremde Länder etwas stillen. Was meinst du?«
Betreten senkte Linda den Blick.
Dem konsumierten Wein sei Dank, interpretierte Antonio ihre Betretenheit als Bescheidenheit im Zusammenhang mit ihrer selbstlosen Hilfsbereitschaft und nicht als Anflug eines schlechten Gewissens, weil seine Tochter insgeheim plante, seine geografischen und zeitlichen Vorstellungen ihrer Abwesenheit von zu Hause zu überschreiten.
Schlechtes Gewissen hin oder her, diese Gelegenheit wollte Linda nicht ungenutzt verstreichen lassen.
»Da könntest du sogar recht haben ...« Sie lächelte scheu. »Hier ist es ja wirklich wunderschön.«
»Allerdings, ja.«
»So ruhig und friedlich ...«
»Ja, so kommt mir das auch vor.«
»Und die beiden haben so viel
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