Bitte sagen Sie jetzt nichts
Wie ist es bei Ihnen? Worüber können Sie lachen?
Loriot Über eine sehr ernste Situation, die in der Emotion sehr hoch angesiedelt ist und sich plötzlich als sehr klein erweist. Wenn der Zufall etwas Hohes zum Einsturz bringt. Große Würde ... Staatsaktionen ... tiefer Ernst ... und plötzlich erweisen sich diese Dinge als brüchig.
Le Viseur Bitte nennen Sie ein Beispiel!
Loriot Das fällt mir so schnell nicht ein. Doch: Ich war einst Komparse an der Stuttgarter Oper - Krieger in Aida. Die vier Träger, die den Feldherrn Radames auf die Bühne schleppen mussten, hatten sich jeden Abend schwarz anzumalen. Diese Farbe war sehr schwer wieder zu entfernen. Da diese Träger von rechts auf die Bühne gingen, also ihre linke Seite dem Zuschauer zuwandten, dachten sich einige von ihnen: Es genügt doch, dass ich nur die eine Seite schwarz mache -die, die dem Publikum zugewandt ist. Dann marschierten sie rein, hatten aber völlig außer Acht gelassen, dass sie Radames in der Mitte der Bühne mit dem Gesicht zum Publikum absetzen mussten. Das hatte dann überraschende Folgen.
Le Viseur Wie ist das - sehen Sie jede Situation, jede Begegnung Ihres Lebens aus der Distanz schon auf ihre komische Möglichkeit an?
Loriot Es ist nicht so, dass ich jede Situation im Hinterkopf auch als komisch sehe. Ich beobachte und lebe wie jeder andere. Was sich im Laufe der Jahrzehnte herausbildete, ist eine bestimmte Art des Gedächtnisses. Situationen, die an mir scheinbar vorübergingen, setzten sich fest - ohne dass ich mir besondere Mühe geben muss, mir das zu merken. Dann kommt der Moment vor dem leeren Blatt Papier. Dann sind diese Situationen alle abrufbereit.
Die Arbeit an einem Einfall ist wirklich eine Konstruktion. Es gibt ganz selten den Fall, dass man etwas Komisches erlebt und dann verwenden kann. Komik lauert überall da, wo Menschen sind. Und ganz sicher auch bei Tieren: Wenn der König der Wüste gerade brüllend seine Macht darstellen möchte und dann in ein Loch tritt. Es gibt also eigentlich keine Einfälle, sondern nur die Verdeutlichung der Komik eines Sachverhaltes. Ich versuche, so nah wie möglich an der Wirklichkeit zu bleiben.
Es gibt eine andere Komik, die Slapstick-Komik, die zum Beispiel von Otto bevorzugt wird. Er liebt das Undenkbare. Ich halte mich an das Denkbare.
Le Viseur Sind Sie also ein Mann, der Humor gewissermaßen am Reißbrett erarbeitet, konstruiert, entwickelt?
Loriot Das gilt für jede Art der Unterhaltung. Nehmen wir eine Figur des Entertainments, die ich mit am meisten liebe - Fred Astaire als Tänzer. Wenn man ihn in einem Film sieht, in dem er gewissermaßen die Schwerkraft verliert, wenn er alle Gegenstände um sich herum zu seinen eigenen Körperteilen macht - was, meinen Sie, ist da spontan? Nichts! Das ist ganz, ganz harte Arbeit. Ich glaube nicht an spontane Dinge. Ich glaube nicht an Improvisation. Auch nicht an sprachliche Improvisation.
Le Viseur Ist das nicht für Sie privat ein Problem? Wenn Sie auf eine Party gehen, erwarten dann nicht die meisten Gäste von Ihnen ständig das Klipp-Klapp der Pointen?
Loriot Das glaube ich nicht. Meine Sketche sind ja nicht auf eine sehr pointierte Sprachkomik ausgelegt. Es sind Situationen, in denen Menschen ganz normal reden. Da ergibt sich erst aus einem Gespräch eine gewisse Absurdität. Es sind keine kabarettistischen Pointen. Man könnte nach keinem meiner Sätze Tata-tata-tata blasen. Ich spüre keinen Druck, unbedingt komisch sein zu müssen. Ein Arzt, der in Gesellschaft ist, braucht ja auch nicht zu befürchten, noch bei Tisch einen Blinddarm rausnehmen zu müssen.
Le Viseur Das Sofa wurde bei Ihnen fast ein externes Organ. Ist das Sofa nicht eine Art Symbol für eine Lebenshaltung? Sind, vom Sofa aus gesehen, alle anderen Menschen für Sie Narren und alles auf Erden nur ein Spaß?
Loriot Natürlich nicht. Das Leben hier auf der Erde, ob man es nun religiös betrachtet oder nicht, ist eine ernste Angelegenheit. Dafür gibt es einfach zu viel Not und zu viel Trauer. Nur: Es ist nun mal so, dass alles Leben auch seine komischen Seiten hat. Ich würde aber nicht sagen, dass die Grundkonzeption komisch ist. Das würde meiner religiösen Vorstellung widersprechen.
Le Viseur Was erschüttert Sie tief, bewegt Sie ernst, beispielsweise im Bereich der Kunst?
Loriot Zunächst Musik. Gehen wir von der Matthäuspassion aus. Diesen Bogen können Sie schlagen über Mozart, Beethoven bis zu Wagner. Ich möchte den sehen, der sich einmal
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