Bitte sagen Sie jetzt nichts
Spiegel Haben Sie so große Sehnsucht nach strengen Formen? Der Film macht sich ein bisschen lustig über dies Altmodische, wie man miteinander umgeht, wie man Gäste einlädt, zeigt aber gleichzeitig großen Respekt vor diesen bürgerlichen Umgangsformen.
Loriot Um das sehr deutlich zu sagen: Ich liebe Umgangsformen und Umgangsregeln, weil ich glaube, dass es die einzige Möglichkeit ist, gefahrlos miteinander umzugehen. Ich glaube, dass das fahrlässige Sich-Hinwegsetzenüber diese Formen immer zur Folge hat, dass die Missverständnisse größer werden und unnötige Verletzungen auftreten. Für mich rührt ein Teil unserer aus den Fugen geratenen Politik auch daher, dass bestimmte menschliche Formen nicht eingehalten werden. Ich könnte mir denken, dass gerade in der Beziehung zwischen Ost und West zum Beispiel dies eine nicht geringe Rolle spielt.
Der Spiegel Aber trotzdem: Wenn Sie in Ihrem Film Umgangsformen scheitern lassen, dann ist das erleichternd und komisch.
Loriot Weil die Unfähigkeit, mit diesen Formen umzugehen, natürlich besonders komische Folgen hat. Jemand, der keine Formen anzuwenden bereit ist, Gott, der ist nicht komisch, wenn er sich in dieser Welt fehlverhält. Der ist auszurechnen. Wenn aber jemand mit dem hohen Anspruch an Formen und gutes Betragen, mit einer entsprechenden Erziehung auf die Gesellschaft losgelassen wird, und er wird missverstanden, und alles läuft schief, dann ist es eben Anlass zur Groteske, zur Komik.
Der Spiegel Wie Sie sich über Muttergefühle und die Ängstlichkeit von verunsicherten Menschen lustig machen, das ist schon bösartig.
Loriot Ich bin geradezu froh, dass mir mal jemand Bösartigkeit nachsagt, weil ich normalerweise immer höre: Das Nette an Ihnen ist, dass Ihr Humor immer so ungeheuer liebenswürdig bleibt. Ich wundere mich jedesmal. Denn wenn ich meine Ehegespräche so durchgehe und das Verhalten zwischen Mann und Frau, was mehr als einmal mit den Worten endet »Morgen bring ich sie um!«, dann ist da ja so furchtbar liebenswürdig eigentlich nicht. Nur täuscht wahrscheinlich die komische Form darüber hinweg.
Andererseits - ganz so unlieb ist mir das auch wieder nicht; denn ich meine ja, wenn man etwas Bestimmtes an den Mann bringen möchte, dann sollte man es in einer Form tun, die den anderen nicht zwingt, das Visier zuzumachen.
Der Spiegel Sie wollen die Leute durch scheinbare Harmlosigkeit und Nettigkeit erst einmal aus der Reserve locken. Komödie, das heißt also auch Tarnung?
Loriot Ja.
Der Spiegel Wie in all Ihren Fernseh-Sketchen haben Sie auch in Ihrem Film jetzt eine starke Beziehung zu Ihrer Lieblingspartnerin Evelyn Hamann.
Loriot Das hat natürlich mehrere Gründe. Erstens ist sie eine hervorragende Schauspielerin und fast die einzige Partnerin, die ich in diesem Teil meines Berufs gehabt habe. Das bewirkt natürlich eine große Kenntnis der beiderseitigen Mittel. Und der große Reiz in diesem Film lag darin, dass sie nun nicht die altjüngferliche Erzieherin mit Mittelscheitel oder das hässliche Entlein und die verkorkste Sekretärin zu sein hatte, sondern dass sie plötzlich auch eine glaubwürdige, »normale« Frau spielen kann, die in peinliche Situationen gerät.
Der Spiegel Wer ist denn das Opfer in diesem Film: sie oder er? Sie ist genauso wenig dem Elternhaus entkommen. Die beiden sind eigentlich zu spät dran, um wirklich irgendwas Dauerhaftes miteinander veranstalten zu können. Tucholsky hat gesagt: Deshalb wird beim Happy End jewöhnlich abjeblendt.
Loriot Mein Film ist ja eigentlich keine wirkliche Geschichte von a nach b , sondern ein Zustandsbericht.
Der Spiegel Ist das nicht von a nach b - weg von der Mutter hin zu Freund und Braut?
Loriot Meinetwegen von a nach b, weg von der Mutter. Aber am Ende, nachdem die Mutter gesagt hat: »Ich werde hier wohl nicht mehr gebraucht«, weiß jeder: Das ist rhetorisch gemeint. Jeder weiß, die Mutter ist zwar beleidigt, aber so leicht wird man sie nicht los. Und wenn sie am Schluss zu dritt im Auto sitzen, dann hat Mutter es natürlich wieder geschafft: Sie fahren zusammen nach Italien.
Der Spiegel Zum ersten Mal wird in Ihrem Film das Alter komisch, das behaupten wir mal. Sie haben in Ihren Sketchen gezeigt, wie schwierig es ist, ein Bett oder einen Anzug zu kaufen oder eine Roulade zu essen. Jetzt wird Ihre Komik biologisch.
Loriot Das ist richtig. Das hat natürlich -ganz einfach - auch mit meinem Alter zu tun. Wenn ich, sagen wir, den Film 15 Jahre früher gemacht
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