Bitte sagen Sie jetzt nichts
sie nicht reagieren, schreibe ich es um oder werfe es weg. Aber das liegt nun hinter mir.
Sperr/Weiler Leider. Sie hatten doch sicher hoch dotierte Angebote von den Privatsendern?
Loriot Schon, aber die wollten zwölfmal im Jahr eine Sendung, und das geht nicht. Nicht auf gleichbleibendem Niveau.
Sperr/Weiler Sie hätten steinreich werden können.
Loriot Es tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss.
Sperr/Weiler Sind Sie eigentlich noch Loriot?
Loriot Viele nennen mich so. Aber inzwischen hat sich auch mein richtiger Name herumgesprochen.
Sperr/Weiler Das hat wohl auch damit zu tun, dass Sie sich als Loriot rarmachen. Wie ist denn der Ruhestand so?
Loriot Er fängt irgendwie nicht an. Ich versuche das meiste abzusagen, aber manchmal kann und will ich den Kopf nicht aus der Schlinge ziehen.
Sperr/Weiler Sie geben keine Interviews mehr?
Loriot Nur noch dieses hier.
Sperr/Weiler Warum?
Loriot Es ist nicht abendfüllend, über sich selbst zu reden. Außerdem ist noch viel anderes zu tun.
Sperr/Weiler Was denn?
Loriot Ich moderiere Konzerte, verwalte das Getane, beantworte Briefe, mache Ordnung für die Nachkommen und kümmere mich um meine Familie. Gelegentlich fahren wir auch in unsere kleine Berliner Wohnung, gehen in die Oper, ins Theater und natürlich ins Kino.
Sperr/Weiler Was sehen Sie sich an?
Loriot Zuletzt Italienisch für Anfänger und den hinreißenden deutschen Film Bella Martha von Sandra Nettelbeck.
Sperr/Weiler Gibt es so etwas wie Altersweisheit?
Loriot Kaum. Die Jahre vergehen fast zu schnell, um aus Erfahrungen zu lernen. Wenn man jung ist, teilt man die Menschen in zwei unveränderliche Gruppen: Alte und Junge. Und wenn man alt ist, teilt man sie in Kranke und Gesunde. Erst sehr spät lehrt die Erfahrung, dass man keiner Gruppe entkommt.
Sperr/Weiler Seit wann glauben Sie zu altern?
Loriot Die Erkenntnis, alt zu sein, kommt nicht allmählich. Sie überfällt einen ganz plötzlich. Man wacht eines Morgens auf und stellt fest: So, jetzt bist du alt. Ein Anlass zum Staunen.
Sperr/Weiler Oder zur Besorgnis?
Loriot Karl Valentin sagte, man liest jeden Tag die Traueranzeigen, damit man weiß, wer noch lebt. Eine gewisse Ängstlichkeit macht sich breit, die Ungewissheit über die Fortdauer der Gesundheit.
Sperr/Weiler Dafür müssen Sie wenigstens nicht mehr arbeiten.
Loriot Das Alter ist nicht der erwartete beschauliche Ausklang. Die Genussfähigkeit nimmt nicht zu, der Wein schmeckt nicht besser. Ja ja, man kann den Enkeln Märchen vorlesen und lange spazieren gehen. Aber das Getriebe ist nun mal seine 250 000 Kilometer gelaufen und sollte ausgetauscht werden. Auch die kleinen Übel gehen einem langsam auf die Nerven.
Sperr/Weiler Was sind das für Übel?
Loriot Ächzendes Verlassen des Taxis, Zögern bei der letzten Treppenstufe, Unauffindbarkeit des zweiten Mantelärmels, zu Hilfe eilende junge Damen ... Altern ist schon eine Zumutung.
Sperr/Weiler Können Sie sich erinnern, wann genau Sie das Gefühl hatten, nun alt zu sein?
Loriot Nee, nicht genau, ich war so um die siebzig. Da ärgerte mich meine Vergesslichkeit. Die findet man nur eine Weile komisch .
Sperr/Weiler Über diesen Punkt sind Sie hinaus.
Loriot Allerdings, Namen und Daten und Filmtitel sind in entscheidenden Momenten wie weggeblasen. Man entwickelt im Laufe der Jahre zwar eine gewisse Geschicklichkeit zur Umschreibung von Dingen oder Personen, aber das hilft nicht, wenn man diese Tricks auch noch vergisst.
Sperr/Weiler Das geht uns allen so. Ihr Publikum hätte dafür Verständnis.
Loriot Das tröstet mich.
Sperr/Weiler Ist es nicht eine Gnade, sich nicht verstellen zu müssen? Keiner erwartet von Ihnen, dass Sie jünger auftreten oder gar eine junge Freundin haben.
Loriot Ich bemerke sehr wohl, mit welchem Geschick Sie versuchen, mich bei Laune zu halten.
Sperr/Weiler Kann man lernen, mit dem Altern umzugehen?
Loriot Notgedrungen. Ein gewisser Fleiß ist angebracht.
Sperr/Weiler Gibt es am Altwerden denn gar nichts Schönes?
Loriot Man weiß endlich das Notwendige vom Überflüssigen zu unterscheiden. Auch das globale, gemeinsame Altern hat etwas sehr Beruhigendes.
Sperr/Weiler Sie sind wohlhabend, werden geliebt; Ihre Familie ist wohlauf, Sie sind Ehrenbürger von Münsing und Brandenburg. Es gibt für Sie keinen Anlass zur Beschwerde.
Loriot Dafür bin ich auch sehr dankbar und freue mich über jeden Tag, an dem ich noch erwache.
Sperr/Weiler Gibt es Momente, wo Sie aufwachen und nicht mehr
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