Bitte sagen Sie jetzt nichts
mit großer Leidenschaft für Dichtung und Theater. Und dies nicht nur passiv: Bei gesellschaftlichen Einladungen trug er selber gerne vor und legte sich höchst dramatisch, wie auf der Bühne, ins Zeug. Uns Kindern war das immer etwas peinlich. Allerdings zu Unrecht. Es handelte sich um eine übliche Form der Unterhaltung in einer Zeit, die weder Radio noch Fernsehen kannte. Eine Szene hat sich mir besonders eingeprägt. Mein Vater stand zwischen den festlich gedeckten Tischen und trug eine Ballade vor mit einem Tränenstrom als Höhepunkt. Er wählte eine der älteren Damen aus, die in der Nähe saßen, ließ sich auf die Knie fallen, barg seinen Kopf in ihrem Schoß und schluchzte meisterhaft, worauf die unglückliche Frau, im Glauben, dies sei eine echte Tragödie, ihm den Kopf streichelte und sagte: »Ach, so beruhigen Sie sich doch.« Diese Szene habe ich nie vergessen und dachte so bei mir: Wissen die Erwachsenen eigentlich, wie komisch sie sind, wenn sie ernst sein wollen ...?
Kammertöns/Lebert Hatte Ihr Vater Humor?
Loriot Mein Vater war der witzigste Mensch, den ich in meinem Leben kennengelernt habe, aber auch der ernsteste. Im Stern erschien damals Woche für Woche ein berühmtes Gemälde mit einer humoristischen Bildunterschrift. Diesmal war es Michelangelos Jüngstes Gericht aus der Sixtinischen Kapelle in Rom, darunter stand: »Bitte ins Paradies im Gleichschritt gehen«, oder so ähnlich. Mein Vater fühlte sich religiös verletzt und schrieb an den Humorchef des Stern einen bösen Brief. Da ich zu jener Zeit für den Stern arbeitete, fügte mein Vater noch hinzu, dass sein Sohn unter diesen Umständen ganz gewiss nicht mehr für dieses schändliche Blatt arbeiten würde. Natürlich hatte mein Vater kein Wort mit mir darüber gesprochen.
Kammertöns/Lebert Sie haben am Russland-feldzug teilgenommen. Ging im Krieg der Humor verloren?
Loriot Nein. Die groteske Veränderung der Lebensumstände wurde eigentlich nur durch eine gewisse humoristische Distanz erträglich. Allerdings gibt es da charakterliche Unterschiede, Abgründe schauerlicher Pointen, die mit unserem Thema nichts zu tun haben.
Kammertöns/Lebert Es gibt wohl auch ein Lachen gegen die Angst.
Loriot Ja, sicher. Aber die interessiert mich nicht. Komik hat mit Irrtümern zu tun, mit falsch beurteilten Situationen. Es ist unsinnig, Grundsätze aufzustellen, wann und wo gelacht werden soll, denn es gibt ja nun mal völlig verschiedene Arten von Humor. Für Trauer trifft das nicht zu. Die Tragik im Theater ist ohne weiteres fabrizierbar. Das Komische ist nicht so einfach. Der Sinn für Komik ist verschieden, der Sinn für Tragik nicht.
Kammertöns/Lebert Ein Kollege aus der Redaktion hat bei Ihren Dreharbeiten zu Ödipussi beobachtet, dass Sie eine Szene, eigentlich nur einen Dialog, ständig wiederholten. Evelyn Hamann, Ihre Dialogpartnerin, hatte zu sagen: »Viele Patienten haben ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter.« Und Sie schauen empört auf und fragen: »Zu meiner Mutter?« Es ging Ihnen genau um die Nuance, damit es stimmt.
Loriot Natürlich ist es entscheidend; zu meiner Mutter darf nicht falsch betont werden, zu meiner Mutter ist etwas anderes als zu meiner Mutter. Und er muss es so sagen, dass es ihm unheimlich ist, es darf nicht klingen, als ob er es komisch findet. Es wird in keinem meiner Filme irgendwo gelacht, nirgendwo. Lachen sollen die Zuschauer.
Kammertöns/Lebert Sicher, in Ihren Filmen wird nie gelacht?
Loriot Nein. Und wenn gelacht wird, dann ist es ein Gelächter, über das man sich mokieren müsste, weil es an der falschen Stelle sitzt. Also, man kann das Lachen nur benutzen als ein an der falschen Stelle sitzendes Moment.
Kammertöns/Lebert Herr von Bülow, Sie sprachen davon, dass Komik viel mit Irrtümern zu tun hat. Wir erleben derzeit gerade die Zertrümmerung der globalen Finanzmärkte, sozusagen ein kollektives Inferno an Irrtümern. Können Sie bei aller Tragik auch eine gewisse Komik erkennen?
Loriot Man könnte aus der Situation, in der wir uns jetzt befinden, einen sehr komischen Film machen. Gerade die Bitterkeit, die das alles hat, reizt zur Komik, denn es sind ja nur ernste Leute, mit ernsten Zielen, für die das Geld das Einzige ist, was sie wirklich interessiert.
Kammertöns/Lebert Und im Mittelpunkt stehen die ehrwürdigen Banker.
Loriot Die Banker. Eher die Spekulanten. Männer, die man zu wenig beobachtet hat. Es sind Verbrecher in eleganter Maske.
Kammertöns/Lebert Das klingt
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