Bitte Zweimal Wolke 7
Frau Jung. Jetzt wollen Sie ja bestimmt erst mal den glücklichen Vater informieren. Und zum ersten Ultraschall bringen Sie ihn gerne mit, ja?«
Das fünfstimmige Seufzen wird lauter.
»Das muss ich Jochen … ich meine, das muss ich meinem Mann … ich wollte sagen, ich muss es ihm erst schonend beibringen.«
Allgemeines Luftanhalten im Wartezimmer. Auch ich kann nicht atmen. Jochen? Frau Jung? Anna Jung? Ich wage einen ganz kurzen Blick über den Rand meiner Zeitschrift und mein Herz fängt wie wild an zu schlagen. Klopf, klopf, klopf. Mir wird heiß. Dann kalt. Am Tresen bei der Sprechstundenhilfe steht Anna. Anna Jung, Partyservice. Das Schweinemedaillon meines Vaters. Und Anna Jung ist schwanger. So muss es sich anfühlen, wenn die Erde bebt und die Welt untergeht. Auf einmal ist mir einfach nur schlecht. Richtig schlecht. Nicht zu vergleichen mit der Übelkeit von gestern Abend. Bitte, bitte mach, dass das alles nicht wahr ist. Die Tränen schießen mir aus den Augen und laufen über mein Gesicht. Die glückliche Schwangere hat inzwischen die Arztpraxis verlassen. Fünf besorgte Paar Augen wenden sich jetzt mir zu.
»Alles in Ordnung, Kindchen?«
Eine Hand tätschelt mein Knie. »Kein Mann der Welt ist das wert.«
Ich muss hier raus. Keine Minute länger halte ich es in dieser Arztpraxis aus. Ich werfe die Zeitschrift zurück auf den Tisch und stopfe mein Handy in die Jeanstasche.
»Karolin Schreiber, bitte!«
»Mir ist schlecht!«, rufe ich noch über die Schulter und stürze aus der Praxis. Von Anna ist zum Glück weit und breitnichts mehr zu sehen. Ziellos laufe ich durch die Straßen. Anna ist schwanger. Anna bekommt ein Baby. Papa bekommt ein Baby. Der Satz klopft und hämmert in meinem Kopf, dass ich Angst habe, mein Schädel zerspringt mir. Papa bekommt ein Baby. Papa bekommt ein Kind. Erst hat Papa sich eine neue Frau gesucht, jetzt bekommt er ein neues Kind. Wir waren eine Familie. Mama, Papa und ich. Plötzlich muss ich an Damian denken.
Es ist schön, eine kleine Schwester zu haben
. Eine kleine Schwester. Ich kriege eine kleine Schwester. Oder einen kleinen Bruder. Ich will keine Schwester und auch keinen Bruder. Es ist nicht schön. Es ist ganz und gar nicht schön. Es ist scheiße, scheiße, scheiße! Ich wünschte, ich wäre niemals nach Hamburg gefahren. Ich wünschte, ich hätte Anna niemals kennengelernt. Ich wünschte, Papa hätte Anna niemals kennengelernt. Ich wünschte, ich wäre mit Mama nach Mallorca gefahren.
»He, pass doch auf.«
»Sorry, hab dich nicht gesehen.« Ich reibe mir die Schulter, als ein Fahrradlenker mich streift. Dann greife ich zum Handy und gebe Kims Nummer ein. Mist. Die Mailbox. »Kim? Karo hier. Kim, ruf mich zurück, wenn du kannst. Bitte.«
Ich laufe noch mindestens zwei Stunden durch die Stadt, bevor ich mich nach Hause traue. Nach Hause. Eine Zeit lang hat das geklappt. Eine Zeit lang konnte ich mir einreden, ich wäre auch hier zu Hause. Bei Papa. Wenigstens ein bisschen. In diesem Sommer funktioniert das nicht mehr. Das ist nichtmein Zuhause. Das ist Papas und Annas Zuhause. Und bald das Zuhause von dem neuen Baby.
Wahllos stopfe ich Sachen in meinen Rucksack. Ich will nur weg. Anna ist zum Glück nicht da, Papa auch nicht. Ob er schon Bescheid weiß? Vielleicht suchen sie gerade ein Kinderzimmer zusammen aus? Ich schaue mich um. Das ist mein Zimmer. Falsch, Karo. Das
war
dein Zimmer. Nächsten Sommer wird hier ein Gitterbett stehen, ein Mobile von der Decke baumeln und die Wände werden mit kleinen Feen oder Lokomotiven beklebt sein. Warum ruft Kim nicht an? Ich schnappe meinen Rucksack. Und jetzt? Mein Blick fällt auf das Zelt, das immer noch eingepackt auf dem Fußboden liegt. Das Campingwochenende. Ich hatte mich so sehr darauf gefreut. Wenn ich jetzt abhaue, kann ich Stefan vergessen. Und wohin kann ich überhaupt fahren? Nach Frankfurt? Wenn Mama erfährt, dass ich allein zu Hause bin, schickt sie mir sofort eine ihrer grässlichen Freundinnen auf den Hals. Darauf kann ich auch verzichten. Kim. Sie ist meine einzige Rettung. Vielleicht kann ich den Rest der Ferien bei ihr wohnen. Dann kann ich weiter zum Tauchen gehen und an dem Campingwochenende teilnehmen.
Auf dem Küchentisch liegt der Block für die Einkaufszettel. Ich reiße ein Blatt ab und kritzele ein paar Zeilen darauf:
Bin bei Kim. Werde dort übernachten. Gruß K
.
Jetzt habe ich vielleicht erst mal ein paar Tage Ruhe. Ich hoffe einfach, dass die Neuigkeiten Papa so aus den
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