Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bitter Lemon - Thriller

Titel: Bitter Lemon - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
Vom Netzwerk:
Gebäude, das die im schnellen Takt der Stadt vorbeieilenden Passanten keines einzigen Blickes würdigten, während er sich an das überschaubare geistige Vermächtnis seiner Mutter erinnerte. Unter dem Pflaster liegt der Strand. Sie hatte ihm den Satz nie erklärt. Sie hatte ihm nie etwas erklärt. Aber der Satz hatte auf ihn eine sonderbare Faszination ausgeübt, als er noch ein kleines, ihr hoffnungslos ausgeliefertes Kind war. Unter dem Pflaster liegt der Strand. Und hinter dem Beton des Gebäudes wartete das Paradies. Denn wer es sich leisten konnte, die Drehtür des Savoy zu passieren, wurde auf der Stelle von einem orientalischen Märchen aus Tausendundeiner Nacht empfangen.
    Unter dem Pflaster liegt der Strand. Vielleicht kannte auch Gisela Ragge den Spruch. 1990 hatte die Kölnerin den grauen Kasten gekauft, um darin ihren ganz persönlichen Traum von einem Hotel zu verwirklichen. Etage für Etage. »Kölns sinnlichste Baustelle«, schrieb der Kölner Stadt-Anzeiger damals und zitierte die vierfache Mutter: »Ich will kein Hotel, in dem Sofas rumstehen, auf die sich nie jemand setzt.«
    Während andere erstklassige Kölner Adressen wie das altehrwürdige Excelsior Ernst oder das gigantische Hyatt Regency vornehmlich Gäste aus Politik und Wirtschaft beherbergten, liebten Schauspieler und Musiker das exotisch-schräge Ambiente des Savoy, in dem kein Zimmer dem anderen glich, und mitunter auch sich selbst nicht mehr, wenn man es zwei Jahre nicht besucht hatte und die Eigentümerin zwischenzeitlich auf die Idee gekommen war, die Etage völlig neu zu gestalten.
    David Manthey war kein Schauspieler, auch wenn er vorhatte, sich heute im Savoy in einer gagenfreien Rolle zu versuchen. Er betrat das Hotel auch nicht durch die magische Drehtür, sondern zu Fuß durch die nüchterne Tiefgarageneinfahrt, nur ein paar Hausnummern nördlich. Vor dem Aufzug am Ende des ersten Untergeschosses wartete Frank.
    Frank war nervös. Kein Wunder.
    »Ich kann meinen Job verlieren.«
    »Quatsch. Du wirst als Held gefeiert.«
    Sie hatten in etwa die gleiche Statur. Das erleichterte die Sache. In der engen Kammer streifte Frank seine Hausdienerjacke ab und reichte sie David, der in schwarzer Hose, weißem Hemd und schwarzer Fliege erschienen war.
    »In sieben Minuten muss er seinen Tee haben. Jeden Tag um diese Zeit. Auf die Sekunde pünktlich. Sonst wird er sauer und ruft die Rezeption an. Der versteht keinen Spaß.«
    »Keine Sorge. In sieben Minuten hat er seinen Tee.«
    Frank zeigte stumm auf den Rollwagen, David nickte und zeigte auf den Stuhl. Frank setzte sich mit mürrischem Blick, David fesselte ihm die Hände hinter der Lehne, drückte ihm ein Stück Klebeband auf den Mund, zerriss Franks Hemd mit einem Ruck vor der Brust, wuschelte ihm ein wenig durch das bis dahin sorgsam gescheitelte Haar und kippte den Stuhl samt Frank in einem 45-Grad-Winkel gegen die Wand.
    Die Oriental Suite lag im obersten Stock.
    David verließ den Aufzug, rollte den Servicewagen bis zum Ende des Flurs und klopfte. Das Klopfen klang seltsam dumpf und schwach, so dick war die mahagonifarbene Tür aus Massivholz.
    Die Tür zur Nachbarsuite stand einen Spalt offen.
    David schob sie mit der Fußspitze sachte ein Stück weiter auf, bis der Spalt breit genug war, um in den Salon blicken zu können. Am Ende des Raumes saßen vier Männer mit gebeugten Rücken zur Tür und starrten in Computer-Bildschirme. David zählte insgesamt sechs Monitore, drei Drucker und vier Kaffeekannen. An die Stirnwand hatten sie einen schätzungsweise zwei mal zwei Meter großen Stadtplan von Köln geheftet. Die Männer waren viel zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt, um ihn zu bemerken.
    David zog die Tür der benachbarten Suite wieder lautlos bei, dann klopfte er ein zweites Mal an die Tür der Oriental Suite, eine Spur kräftiger, senkte den Kopf und tat geschäftig, indem er imaginäre Falten aus dem frisch gestärkten und perfekt gebügelten Leinentuch auf dem Rollwagen glättete.
    Die Tür schwang auf, ein Paar schwarzer, auf Hochglanz polierter Schuhe erschien in Davids Blickfeld und verschwand augenblicklich wieder. David schob den Wagen über die Schwelle und folgte den Schuhen über den dicken Teppich.
    Außer den Schuhen trug Uwe Kern einen dreiteiligen, anthrazitfarbenen Anzug, diesmal ohne Nadelstreifen. Die Weste war aufgeknöpft, der Hemdkragen hochgestellt, und die Krawatte hing noch ungebunden um seinen Nacken. Dies registrierte David in der Sekunde, in der

Weitere Kostenlose Bücher