Bitter Lemon - Thriller
Mantheys Küche, während der Coach in Spanien war, um seinen Neffen zu holen, aus einer Sekte, erzählen sie sich, keine Ahnung, was das für eine Sekte …
»Was er kann, hat er in Spanien gelernt, eine der besten Basketball-Nationen Europas … nach Jugoslawien natürlich.«
»Kroatien!«
»Sorry. Nach Serbien und Kroatien natürlich. David kann sich mit dem Ball bewegen, auch auf engem Raum in der Zone, er kann mit dem Rücken zum Brett spielen, er hat einen guten Schuss aus der Halbdistanz … was ein Power Forward eben so können muss. Aber wem erzähle ich das, Zoran.«
David hatte noch kein einziges Wort gesagt. Und er würde heute, in dieser kleinen, schäbigen, nach getrocknetem Schweiß stinkenden Halle, auch nicht mehr dazu kommen, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Der kleine, drahtige Kroate würdigte David keines Blickes, hatte nur Augen für den Coach. Deshalb sah David den Ball nicht kommen, schnell und hart wie eine Kanonenkugel, abgefeuert aus Zorans Zauberhänden, während Zoran noch mit dem Coach plauderte. Die aus drei Metern Entfernung abgefeuerte Kanonenkugel grub sich in Davids Magen, nahm ihm die Luft zum Atmen, zwang ihn auf die Knie und trieb ihm unweigerlich die Tränen in die Augen.
Die Jungs jubelten.
»Was soll das, Zoran, verdammt noch mal?«
Felix Manthey war wütend. David konnte zwar nicht sehen, aber deutlich hören, wie wütend sein Onkel war, während er auf dem Boden kniete und sich still vor Schmerzen krümmte und auf das spinatgrüne Linoleum starrte und gegen den Drang ankämpfte, sich zu übergeben.
»Coach, war nur ein Test«, entgegnete Zoran Jerkov völlig ungerührt. »Habe ich mir gleich gedacht: Er kriegt meine Pässe nicht. Ich bin zu schnell für ihn. Wie soll das was werden?«
Kristina Gleisberg schaltete den Fernseher aus. Piet hatte ganze Arbeit geleistet. Keine zwölf Stunden nach seiner Haftentlassung war das arme, bemitleidenswerte Justizopfer Zoran Jerkov zu einem widerlichen Kriminellen mutiert, zu einem gefährlichen Gewalttäter, einem hässlichen Knoblauchfresser, der die Gutmütigkeit seines deutschen Gastlandes schamlos ausnutzte. Wie viele Menschen hatte InfoEvent mit der Sondersendung zur besten Sendezeit erreicht? Sechs Millionen? Acht Millionen? Morgen früh würden die Quoten im Internet abrufbar sein. Morgen früh würde sich Frank Koch erleichtert in seinem Chefsessel zurücklehnen und seinen fetten Bauch kratzen. Morgen früh würde sich Kristina Gleisberg gleich nach der zweiten Tasse Kaffee an den Schreibtisch setzen, tief durchatmen und die erste Nummer auf der Liste wählen: Hallo, Kristina hier … Kristina Gleisberg … nein, nicht … ja, genau die. Ganz gut, danke. Und dir? Oh. Interessant. Klar. Verstehe. Deshalb will ich auch gar nicht lange stören, sondern nur mal fragen, also, letzten Monat in Berlin, da sagtest du … ja, genau, im Einstein, nach dieser unsäglichen Pressekonferenz … jedenfalls, da sagtest du, wenn ich mal Lust auf eine berufliche Veränderung … wie bitte? Verstehe, du bist in Eile. Natürlich. Nein, überhaupt kein Problem. Gute Reise und viel Erfolg. Ich melde mich dann einfach noch mal, so in zwei Wochen, wenn’s dir recht ist. Tschüss dann.«
Die Liste, die sie zusammengestellt hatte, war übersichtlich. Neun Namen. Zwei Frauen, sieben Männer. Neun von 42 000 Medienschaffenden in dieser Stadt. Drei alte Bekannte aus der Studienzeit, die im Gegensatz zu ihr stets alles richtig gemacht hatten, ferner zwei Bekannte von Bekannten, von denen sie hoffte, dass sie sich überhaupt noch an ihren Namen erinnern konnten, ferner vier leitende TV-Redakteure, die sie im Lauf der Jahre zufällig kennengelernt hatte, auf langweiligen Partys, auf Dienstreisen. Neun Menschen in einflussreichen Positionen. Neun Menschen, von denen sie hoffte, dass sie die freiberufliche Fernsehjournalistin Kristina Gleisberg nicht wie eine Aussätzige behandelten, nur weil der mächtige Frank Koch sie gefeuert hatte. Neun Menschen, die über ihre Zukunft entschieden.
Ihre Gegenwart lag auf dem Esstisch, gleich neben der Liste mit den Namen und den Telefonnummern: Auf dem Sparbuch waren noch 286 Euro und 14 Cent, seit sie vor drei Monaten den neuen Wagen gekauft hatte. Und vor zwei Wochen das Sofa.
Der aktuelle Ausdruck ihres Girokontos vermerkte ein Plus von 73 Euro und 48 Cent. Das war’s.
Zoran, du mieses Schwein.
Ich habe dir vertraut.
Warum nur habe ich dir vertraut?
Kristina Gleisberg konnte sich nicht erinnern,
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