Bitter Lemon - Thriller
angenommen, sagte gestern Abend ein Sprecher des Präsidiums: »In den Parkhäusern ist grundsätzlich nur Schritttempo erlaubt. Immer wieder werden Tiefgaragen als illegale Rennstrecken missbraucht. Diese Rowdys vergessen, dass sie auch andere Verkehrsteilnehmer gefährden.«
Nicht geklärt werden konnte gestern Abend bis Redaktionsschluss die Frage, was wohl die Sprinkleranlage ausgelöst haben könnte. Auch die Frage nach den Schüssen blieb am Abend unbeantwortet. Der Zeuge hatte die Schüsse nur gehört, aber nichts gesehen, weil er das soeben betretene Treppenhaus sofort wieder fluchtartig verlassen hatte. Der Sprecher des Polizeipräsidiums erklärte dazu: »Wir müssen natürlich auch die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass der Ohrenzeuge das Unfallgeräusch mit Schüssen verwechselt hat.« Weder an der Leiche noch an dem Motorrad habe man bisher entsprechende Spuren feststellen können, die auf einen Schusswechsel schließen ließen.
Zum aktuellen Stand der Auswertung der Videobänder der Überwachungskameras sagte der Polizeisprecher: »Kein Kommentar, solange die Ermittlungen laufen.«
Nach inoffiziellen Angaben aus Polizeikreisen soll es sich bei dem Unfallopfer um eine 37-jährige Kölnerin handeln, die in der TV-Branche gearbeitet hatte. Nach ersten rechtsmedizinischen Untersuchungen lasse sich der Einfluss von Alkohol oder Drogen als Unfallursache ausschließen.
Als Maja Jerkov neben ihrer Nichte Dalia auf dem Friedhof Melaten begraben wurde, lag ihre große Jugendliebe David Manthey noch immer im künstlichen Koma.
Pfarrer Tomislav Bralic zelebrierte die Trauerfeier, und Günther Oschatz spielte auf der Trompete My Funny Valentine am Grab, Majas Lieblingslied. Artur stützte Branko, der von Heulkrämpfen geschüttelt wurde. Branko war ohne seine Frau zur Beerdigung gekommen. Alenka hatte ihn drei Tage zuvor verlassen und war zu ihrer Familie nach Vukovar zurückgekehrt.
Für immer und ewig.
Kristina Gleisberg stand etwas abseits.
Während Majas Kollegen aus der TV-Branche in einer langen Schlange dem Sarg zustrebten, dachte Kristina darüber nach, ob dies ihr Lebensmotto sein könnte: etwas abseits stehen.
Zorans Leiche blieb verschwunden.
Ebenso wie die Leiche des Albinos.
Ebenso wie die Videobänder der Überwachungskameras in der Tiefgarage. Uwe Kerns SOK-Truppe hatte bei ihrer Premiere alles richtig gemacht. Es war jetzt nur noch eine Frage der Zeit, bis der zuständige Geheimdienstausschuss des Deutschen Bun destages die Finanzmittel bewilligen würde. Für künftige ver deckte Einsätze zur Wahrung der existenziellen Interessen der Bundesrepublik Deutschland.
Die beiden Lederjackenträger, ehemalige russische Elitekämpfer im Tschetschenien-Krieg, unterschrieben knapp zwei Stunden nach ihrer Festnahme einen von Uwe Kern längst ausgehandelten und vorbereiteten Vertrag mit einer britischen Privatfirma, die Söldner vermietete und in internationale Krisengebiete vermittelte. Sie hatten dank des von Kern bestellten Dolmetschers schnell begriffen, dass die Alternative, ein Prozess wegen Beihilfe zum Mord, nicht besonders attraktiv war. Dann lieber Irak. Sie wurden noch in derselben Nacht zur US-Airbase Ramstein zehn Kilometer westlich von Kaiserslautern gefahren. Von dort flog man sie in ein Camp nach Kuwait.
Auch Milos Kecman begriff schnell.
Nachdem Lars Deckert ihm das Video aus der Tiefgarage vorgeführt hatte, das ihn als Mörder zeigte.
Uwe Kern unterbreitete ihm ein Angebot, und Kecman redete daraufhin fast sechs Stunden lang. Druckreif. Zum Mitschreiben. Anschließend hatte Uwe Kern eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie das Milliardengeschäft mit den Computer-Viren funktionierte, wie die Gewinne gewaschen und wo in Westeuropa sie investiert wurden. Das Wissen würde er eine Weile für sich behalten. So lange, bis kein Verdacht mehr auf Kecman als Quelle fallen konnte. Das war der Deal.
Am frühen Morgen reiste Milos Kecman als freier Mann mit einem gefälschtem Pass, den Uwe Kern ihm zur Verfügung stellte, nach London, um dort wie geplant seinen Finanzgeschäften im Auftrag seiner Sankt Petersburger Auftraggeber nachzugehen. Bei einer möglichen späteren Kontrolle der elektronischen Passagierlisten würde sich herausstellen, dass Kecman bereits am Vortag von Mallorca via Madrid nach London geflogen war und niemals seinen Fuß auf Kölner Boden gesetzt hatte.
Das Thema Sklavenhandel war längst wieder aus den deutschen Medien verschwunden und hatte wichtigeren
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