Bitter Lemon - Thriller
jemals eine Familie gewesen?
Nichts war geblieben. Außer Betrug und Selbstbetrug. Und der geschärfte Blick auf einige billige, miese Taschenspielertricks. Wer hatte wen manipuliert in diesem tödlichen Spiel? Zoran Jerkov, Milos Kecman, Uwe Kern: Allesamt waren sie Großmeister der Manipulation gewesen. Schachmatt. Zoran hatte seine Partie gegen Kecman und Kern verloren.
Was hatte Maja gewusst? War sie zufällig als Studioregisseurin bei Carsten Cornelsen gelandet?
Maja. Er hatte sie zum zweiten Mal verloren.
Diesmal für immer.
»Kristina ist nach Peking gegangen«, sagte Günther Oschatz, der jeden Tag wie eine Mutter an seinem Bett saß und ihm all die Dinge, die sich während des Komas zugetragen hatten, nur häppchenweise servierte, in homöopathischen Dosen. »Aber ich bin jetzt da, mein Junge. Und ich bleibe auch. Diese Ruhe auf Formentera ist ja unerträglich.«
Kristina. Peking. Arbeitete da nicht ihr Ex-Freund? Wie hieß er noch gleich? David konnte sich nicht erinnern.
Kristina Gleisberg. Vor ein paar Wochen hatte er nicht mal ihren Namen gekannt. Nun war sie schon wieder aus seinem Leben verschwunden, während er schlief. Diese kluge, schöne, stille Frau. Hatte sie nun gefunden, was sie suchte?
»Danke, Günther. Du hast mir gefehlt.«
»Du mir auch, mein Junge. Kaum bin ich weg, passieren die schlimmsten Sachen. Ich muss besser auf dich aufpassen. Wenn sie dich endlich hier rauslassen, dann nehme ich dich mit nach Hause, im Stavenhof, bis du wieder bei Kräften bist.«
»Wie geht’s der Finca?«
»Bestens. Artur ist jetzt da und repariert im Haus ein paar Sachen, die längst überfällig waren. Das ist sehr nett von ihm.«
»Artur ist auf Formentera?«
»Ja. Er will ein bisschen ausspannen.«
»Ausspannen?«
»Hat er jedenfalls gesagt.«
»Artur? Ausspannen? Der weiß doch gar nicht, was das ist. Bitte sag mir die Wahrheit, Günther: Was macht Artur?«
»Ich habe keine Ahnung, David. Ich bin Musiker und kein Detektiv. Warum soll er denn nicht mal ausspannen?«
»Gib mir bitte das Telefon, Günther.«
David richtete sich ächzend auf. Die Bauchdecke schmerzte, sobald er die Muskeln anspannte. Höllenqualen. Günther schob ihm ein Kissen in den Rücken. David ignorierte die Schmerzen und wählte die Nummer der Finca. Nichts. Er ließ es ein Dutzend Mal läuten, obwohl er ahnte, dass es zwecklos war.
Dann wählte er Juans Nummer in der Fonda Pepe.
»David! Hombre, qué hay?«
»Juan, wo ist Artur?«
»No sé. Wir haben ihn seit drei Tagen nicht mehr gesehen. Soll ich Javier mal rüber zur Finca schicken?«
Als die Europäische Union den Euro als gemeinsames Zahlungsmittel einführte und die entsprechenden Banknoten drucken ließ, erhielt das vergleichsweise arme Mitgliedsland Spanien anteilig 13 Millionen Exemplare der nagelneuen 500-Euro- Scheine zugewiesen. Inzwischen kursierte bereits ein Viertel aller EU-Fünfhunderter in Spanien – nach vorsichtiger Schätzung der Banco de España rund 112 Millionen Stück. Ihre Zahl hatte sich also dort binnen weniger Jahre verneunfacht.
Nun war in diesem Zeitraum keineswegs das spanische Bruttosozialprodukt an die Spitze der Europäischen Union katapultiert, und die meisten Spanier hatten wie auch die meisten ihrer EU-Nachbarn noch nie eine einzige dieser lilafarbenen 500-Euro-Banknoten in Händen gehalten. Die explosionsartige Vermehrung dieser Banknote auf spanischem Boden hatte einen anderen Grund: Das internationale organisierte Verbrechen, vor allem die russische Mafia, hatte Spanien als idealen Stützpunkt in Westeuropa für sich entdeckt. Bevorzugte Mafia-Reviere waren das einstige Fischerdorf Marbella an der Costa del Sol sowie der Südwesten der Balearen-Insel Mallorca.
Bargeld als Zahlungsmittel war bei bestimmten Geschäften risikoärmer und deshalb beliebt; besonders die Fünfhunderter, um Volumen und Gewicht in Grenzen zu halten. Die lilafarbenen Banknoten verwandelten sich in den Händen kommunaler Amtsträger blitzschnell in Baugenehmigungen für Ferienhäuser mit unverbaubarem Meerblick oder Konzessionen für Nobeldiscos und Nachtclubs in bester Lage.
Von alledem wusste Artur nichts. Es hätte ihn auch nicht weiter interessiert. Ihn interessierte nur, dass die MS Beluga an einem Pier in Puerto Portals vertäut lag. Und dass ihr Eigner ein begeisterter Taucher und Harpunier war. Das genügte ihm als Information, die sein weiteres Handeln bestimmte.
Die MS Beluga lag gleich neben dem Hafenturm, unweit des von Michelin
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