Bitter Lemon - Thriller
Wiesbaden
Uwe Kern, keine weiteren Angaben
Keinen der drei Namen hatte David Manthey jemals zuvor gehört. Obwohl er die Antwort ahnte, stellte er die Frage:
»Wer ist wer?«
»Beauvais ist der gemütliche Dicke im Cordanzug. Deckert der junge Drahtige mit dem nervösen Blick.«
Und Uwe Kern demnach das grauhaarige Alpha-Tier. Der Einzige ohne Titel, ohne Dienstgrad, ohne Adresse und ohne offiziellen Arbeitgeber.
»Was hast du jetzt vor, mein Junge?«
»Branko besuchen.«
»Den Chauffeur?«
»Chauffeur? Wie meinst du das?«
Willi Heuser kratzte sich am Kopf – was er immer tat, wenn er Zeit gewinnen wollte, um seine Gedanken zu sortieren.
»Du weißt doch sicher, wie eilig es Zoran nach der Entlassung hatte. Machte sich auf dem Rücksitz eines Motorrads aus dem Staub. Zuerst dachte ich, nun ja, es leben eine Menge Kroaten in der Stadt, und außerdem Leute aus Zorans alter Gang. Einer von ihnen wird wohl eine Enduro besitzen. Aber Zoran hat keine Freunde mehr. Längst nicht mehr. Niemand hat ihn im Knast besucht. Als sei ein Bann über ihn verhängt worden. Manche sagen, Zoran hätte sich, als er damals aus Kroatien zurückkehrte, mit den falschen Leuten angelegt. Gerüchte. Du kennst das. Was sich aber eigentlich sagen wollte: Branko hatte doch immer eine Enduro. Solange ich mich erinnern kann.«
»Branko ist zwar Zorans Bruder. Aber solange ich mich erinnere, war er noch nie Zorans Freund gewesen.«
David steckte den Zettel ein, sah auf die Uhr, quetschte sich aus der Eckbank und umarmte Heuser zum Abschied.
»Danke für alles, Willi.«
»Red nicht so einen Quatsch. Mach’s gut, Langer. Und pass auf dich auf. Versprichst du mir das?«
David Manthey war schon auf der Treppe, als er Willis Stimme in seinem Rücken hörte.
»Falls du nicht unbedingt die Haustür benutzen willst … lauf runter bis in den Keller, halte dich links und wieder links. Der Schlüssel liegt oben auf dem Rahmen. Die Tür klemmt etwas. Wird kaum noch benutzt, seit jeder einen Trockner hat und niemand mehr die Wäsche draußen im Hof aufhängt. Durch die Treibhäuser der alten Gärtnerei gelangst du dann unbeobachtet bis in die Hinterhöfe der Weidengasse.«
Die Fahrt nach Hahnwald hätte sie sich sparen können. Der Tatort war längst weiträumig abgesperrt. Sie kam nicht einmal in die Nähe des Hauses, in dem Heinz Waldorf ermordet worden war. Uniformierte Polizeibeamte stoppten jedes Auto bereits auf der Zufahrtsstraße, ließen sich die Papiere zeigen, gestatteten lediglich den Bewohnern des Villenviertels die Durchfahrt und verwiesen Kristina Gleisberg in knappen, sorgsam gewählten Worten auf die Pressekonferenz am Abend im Präsidium.
Der Leichenwagen passierte die Absperrung. Sie sah auf die Uhr. In zwei Stunden war sie mit Maja Jerkov verabredet, Zorans Schwester. Kristina Gleisberg wendete, fuhr zurück zur Autobahn und nahm die Auffahrt nach Norden.
Zwei Stunden. Verlorene Zeit. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Vielleicht sollte sie die zwei Stunden nutzen und Zorans Bruder Branko einen Besuch abstatten. Überraschend im Restaurant aufkreuzen? Oder vorher anrufen? Was war klüger? Als sie den Leichenwagen überholte, klingelte ihr Handy.
»Ja?«
»Kristina?«
Auch das noch.
Ihr Vater. Das hatte gerade noch gefehlt.
»Hallo Papa.«
»Kristina, gestern Abend schalteten wir den Fernseher ein und gerieten zufällig in diese Sondersendung über den entlassenen Mörder. Das war doch immer dein Thema, oder? Da haben wir uns natürlich gefragt: Wieso hat die Kristina die Sendung denn nicht selbst moderiert? Die Mutti hat sich natürlich gleich Sorgen gemacht. Du weißt ja, wie sie ist.«
Natürlich. Die Sorgen ihrer Mutter konnte sich Kristina lebhaft vorstellen: Was würden die Nachbarn wohl sagen? Frau Gleisberg, wieso hat denn nicht Ihre Tochter gestern Abend die Sendung über diesen Mörder moderiert?
»Kristina? Hallo?«
Er ist kein Mörder, wollte Kristina schon entgegnen. Dies zu beweisen, war für lange Zeit der alleinige Sinn und Zweck ihres Lebens gewesen. Wieso habt ihr davon nichts mitbekommen? Und außerdem: Ihr schaut doch sonst nie fern. Ihr habt euch doch noch nie für meine Arbeit interessiert. Warum ausgerechnet jetzt, wo sie mich gefeuert haben?
Stattdessen antwortete sie:
»Ich habe die Sendung nicht moderiert, weil ich krank bin.«
»Krank?«
»Ja, krank.«
Kristina wusste aus leidvoller Erfahrung, dass dies für ihren Vater ein Fremdwort war. Dr. Konrad Gleisberg hatte noch keinen
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