Bitter Lemon - Thriller
vorbeikommen? Dauert nicht lange.«
»Nein.«
»Nein? Aber es geht um Zorans …«
»Nein.«
»Herr Jerkov, Ihr Bruder steckt in Schwierigkeiten.«
»Die Probleme meines Bruders interessieren mich nicht. Ich habe meine eigenen Probleme. Meiner Frau geht es nicht gut. Es gibt nichts mehr zu bereden. Lassen Sie uns in Ruhe.«
Branko Jerkov hatte aufgelegt. Kristina Gleisberg schlug mit der Faust aufs Lenkrad, Tränen der Wut in den Augen.
Wenn David wütend war, überschlug sich seine Stimme. Die Natur hatte sich noch nicht entschieden, ob David noch Kind oder schon Erwachsener sein sollte.
»Zoran, du selbst hast immer wieder gesagt, wir beklauen nur die Reichen. Außerdem wollten wir niemals jemandem wehtun.«
Zoran legte eine Spur Verachtung in sein breites Grinsen. Aber seine Augen signalisierten Verlegenheit. Öcal und Ilgaz klopften sich auf die Schenkel und wieherten vor Vergnügen. Zorans Hofnarren. Nur Artur schaute betreten zu Boden.
»Was ist?« Zoran fächerte die Geldscheine auf wie ein Pokerblatt und wedelte David damit vor der Nase herum. »Wer tausend Mark im Küchenschrank rumliegen hat, der ist doch wohl reich, oder?«
»Blödsinn.«
»Wieso Blödsinn, du Neunmalkluger?«
»Das war doch garantiert sein ganzes Erspartes. Manche alten Leute haben eben Angst, ihr Geld auf die Bank zu tragen.«
»Na und? Dummheit muss bestraft werden.«
»Zoran, die Regel ist, dass wir niemandem wehtun. Das ist unser Gesetz. Du hast ihn einfach …«
»Was denn, was denn, was denn? Kann ich etwa hellsehen? Wenn im Dezember um fünf Uhr nachmittags im ganzen Haus kein Licht brennt, da muss man doch wohl davon ausgehen können, dass auch niemand daheim ist. Oder? Was musste der Alte auch plötzlich aus dem Schlafzimmer auftauchen und den Helden spielen? Außerdem: Eine Ohrfeige hat noch niemandem geschadet. Glaube mir: Ich weiß, wovon ich rede.«
Zoran sah triumphierend in die Runde. Die Hofnarren machten brav ihren Job. Artur sah weg.
»Er hat geblutet.«
»Weil er unglücklich gefallen ist. Der wird schon wieder. Er hat mich angegriffen. Klarer Fall von Notwehr.«
»Zoran, du bist ein Arschloch.«
»Pass gut auf, was du sagst. Und jetzt beruhige dich gefälligst wieder. Tausend durch fünf, das sind für jeden zweihundert. Nicht schlecht für eine Viertelstunde Arbeit. Was ein Glück, dass die anderen keine Zeit hatten. Hier, dein Anteil.«
David schlug ihm das Geld aus der Hand und ging. Zoran sah ihm nach, ernst und stumm, bis David aus seinem Blickfeld verschwunden war. Öcal und Ilgaz sammelten die Scheine vom Boden auf und hielten sie ihrem Chef hin.
»Was guckt ihr so belämmert? Tausend durch vier. Das sind für jeden … zweihundertfuffzich. Umso besser.«
David Manthey brauchte knapp fünfzehn Minuten durch die verlassenen Treibhäuser der alten Gärtnerei bis zum gepflasterten Hof hinter Brankos Restaurant. Eine junge Frau, dem Aussehen nach Filipina, schrubbte die beiden Gästetoiletten im Anbau. Sie trug gelbe Gummihandschuhe. Sie grüßte scheu und wischte sich mit der Außenseite des nackten Unterarms den Schweiß von der Stirn. Manthey erinnerte sich plötzlich, wie eisig kalt es im Winter auf dem Außenklo des Restaurants gewesen war. Ob Branko dort inzwischen eine Heizung eingebaut hatte?
Der alte Milan Jerkov hatte immer davon geträumt. Eines Tages werde er genug Geld beisammen haben, um seinen Gästen eine Heizung auf dem Klo zu spendieren, hatte er immer wieder beteuert, so oft, dass es niemand mehr hören wollte. Und niemand mehr glaubte. Vermutlich war Milan Jerkov gestorben, bevor sein Traum von der großen unternehmerischen Investition in die Zukunft Wirklichkeit werden konnte.
Der Schuppen stand offen. Alte Obstkisten, leere Weinflaschen, eine ausrangierte Tiefkühltruhe, ein Stuhl mit drei Beinen. Nur was er suchte, fand David nicht.
Es hatte immer dort gestanden: Brankos Motorrad. Seit seinem 18. Lebensjahr hatte Branko immer ein Motorrad besessen. Er kaufte sie gebraucht, und wenn er mit ihnen fertig war, sahen sie aus wie frisch aus dem Laden. Es gab eine Zeit, da waren Zoran und David fast täglich in den Schuppen geschlichen, um die graue Plane zu entfernen und davon zu träumen, endlich alt genug zu sein, um ebenfalls den Führerschein machen und so ein Ding fahren zu dürfen. Das mangelnde Alter und der fehlende Führerschein hatten Zoran allerdings nicht davon abhalten können, eines Tages eine Spritztour mit Brankos Maschine zu unternehmen. Er kehrte mit
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