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Bitter Lemon - Thriller

Titel: Bitter Lemon - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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richte deinen Chefs bitte aus, wenn sie meinen, den Lieferanten wechseln zu müssen, um vielleicht ein paar Cent sparen zu können, dann geht die Rechnung am Ende womöglich nicht auf, wenn sie auf diesem Wege ihre Gäste vergiften. Dies war definitiv der letzte Tee, den ich bei euch bestellt habe, und vielleicht war dies auch definitiv mein letzter Besuch in eurem Laden. Ist das klar so weit?«
    »Ich werde es ausrichten. Kann ich Ihnen vielleicht inzwischen etwas anderes anbieten?«
    »Nein! Oder doch: ein Glas Leitungswasser. Ein simples Glas Leitungswasser. Da könnt ihr sicher nichts falsch machen.«
    Pierre verschwand mit hochrotem Kopf.
    Friedbert seufzte.
    »Deutschland ist eine Dienstleistungswüste.«
    »Wie ist das Prozedere?«
    »Kristina, um es mal ganz nüchtern auszudrücken: Sie sind Unternehmer, wir sind Unternehmer. Sie bieten uns ein Produkt an, und wir prüfen, ob uns das angebotene Produkt gefällt und wir es kaufen wollen. Übersetzt heißt das: Sie liefern uns ein maximal vierseitiges Exposé, das uns von der Besonderheit des Schicksals der betreffenden Person, die Sie aufgegabelt haben, überzeugt. Ferner benötigen wir ein aussagekräftiges, aktuelles Foto dieser Person sowie eine maximal zweiminütige Videosequenz, um überprüfen zu können, ob das Gesicht fernsehtauglich ist, ob die Person als Sympathieträger taugt. Unser Publikum will sich identifizieren können, will Mitleid entwickeln, will mit dem Gast leiden. Aber das funktioniert natürlich nur, wenn die Person sympathisch auf unsere Zielgruppe wirkt.«
    »Verstehe.«
    »Wenn Sie mit Ihrem Exposé unser Interesse wecken können, setzen sich unsere Anwälte mit der Person in Verbindung. Wir müssen uns natürlich vorab vertraglich absichern, denn Menschen in Not kommen mitunter auf die seltsamsten Ideen, wenn sie plötzlich die Chance wittern, Kohle abzuziehen. Wenn das alles juristisch in trockenen Tüchern ist, liefern Sie uns noch eine Kurzvita der Person sowie eine chronologische Skizze der Tragödie. Jeweils maximal eine Seite. Mehr nicht. Mehr will Carsten auf keinen Fall haben. Und er wird es auch erst unmittelbar vor der Sendung lesen.«
    »Respekt. Das macht er immer so?«
    »Ohne Ausnahme. Damit er möglichst spontan und emotional auf die Person reagiert. Das wissen die Zuschauer, und das schätzen sie an der Sendung: Carsten arbeitet ohne Netz und doppelten Boden, er setzt sich einem Höchstmaß an Risiko aus. Er liest Ihr Material erst, wenn er in der Maske sitzt. Dann geht er raus und begegnet seinem Studiogast erstmals, wenn er ihn vor laufender Kamera live begrüßt. Die nächsten fünf Minuten der Sendung verwenden wir darauf, in kurzen Einspielern zu zeigen, was aus früheren Studiogästen geworden ist, die das unverschämte Glück hatten, dass Carsten sie in die Sendung eingeladen und ihnen geholfen hatte, ihre Zukunft zu meistern. Das ermöglicht dem aktuellen Gast, noch einmal kurz durchzuschnaufen. Nach den Einspielern ermuntert Carsten den Gast, sein Schicksal zu schildern. Dann geht’s zur Sache …«
    »Live …«
    »Natürlich live. Ungeschnitten. Elektrisch aufgeladen wie eine Gewitternacht. Das ist der besondere Reiz der Show: Niemand kann vorher sagen, was genau passieren wird. Sobald die Sendung ausgestrahlt ist, schreiben Sie uns eine Rechnung, und roundabout eine Woche später haben Sie Ihre fünfhundert Euro auf dem Konto. Plus Mehrwertsteuer, versteht sich. Cut. Jetzt sind Sie dran, Kristina. Na? Interessiert?«
    500 Euro. Brutto. Kristina subtrahierte im Geiste überschlägig die Einkommensteuer und anteilig ihre privaten Versicherungen. Krankenversicherung, Altersvorsorge, die Versicherung gegen Erwerbsunfähigkeit. Wie oft würde man bei Friedbert zum Zuge kommen? Zweimal, vielleicht dreimal pro Monat? Wie oft würden die Angebote auf Ablehnung stoßen, weil sie nicht Friedberts Vorstellungen von der perfekten Tragödie entsprachen? Jedes zweite Mal? Jedes dritte Mal?
    Unter anderen Umständen würde sie jetzt aufstehen und sich verabschieden. Den Großteil des Monats unentgeltlich für den Papierkorb zu arbeiten, um maximal 1500 Euro brutto pro Monat zu verdienen, vielleicht aber auch gar nichts, war nicht ihr Ding. Dass sich Journalisten fanden, die bereit waren, auf solche Deals einzugehen, musste bedeuten, dass eine Menge Leute in der Branche inzwischen in eine materielle und seelische Verfassung geraten waren, dass sie ebenso gut ihre eigene Tragödie auf Cornelsens Studiocouch hätten

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