Bitter Lemon - Thriller
Stirn auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Du wirst erwartet. Da drinnen.«
Ein Sex-Shop. Neben dem völlig verstört wirkenden Verkäufer an der Kasse stand breitbeinig ein Mann mit verschränkten Armen, zweifellos der Zwillingsbruder des Doggenbändigers vor der Tür. Bevor sich David ein Bild davon machen konnte, ob auch die Tattoos identisch waren, löste der Mann seinen Blick von den säuberlich nach Größe sortierten Silikon-Dildos, die bis dahin seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatten, und nickte stumm in Richtung der Tür gegenüber der Kasse.
Ein Kino. Erst als sich Davids Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er die Umrisse eines einzelnen Menschen. Mitten in der vierten von insgesamt sieben Sitzreihen. Also tastete er sich bis zur Mitte der dritten Sitzreihe, die praktischerweise der Tür am nächsten lag. David starrte auf die leblose Leinwand. Sekunden später spürte er Ingvars Atem im Nacken.
»Ich habe das Kino für eine halbe Stunde gemietet. Niemand wird uns stören. Ich habe diesen Menschen an der Kasse gebeten, solange keinen neuen Film einzulegen. Fantasielosigkeit beleidigt meine ästhetische Vorstellung von gutem Sex.«
David dachte einen Augenblick darüber nach, ob Ingvar guten Sex nur im Dunkeln mochte, wo sich doch sein ganzes Leben weitgehend im Dunkeln abzuspielen schien, und wenn nicht, ob die Dogge vielleicht dabei zuschauen durfte. Er fragte sich das, nicht weil er ernsthaft an einer erschöpfenden Antwort interessiert war, sondern um sich abzulenken und seine Ungeduld in den Griff zu kriegen. Auf keinen Fall wollte er zu erkennen geben, wie sehr er auf Ingvars Neuigkeiten brannte. Es war günstiger, dem Schweden lediglich das gute Gefühl zu vermitteln, ihn endlich von seinen Schulden zu befreien.
»Und?«
»Was und, Ingvar?«
»Willst du nicht wissen, was ich für dich habe?«
»Hast du denn was?«
Blitzschnell legten sich Ingvars Hände wie Schraubstöcke um Davids Nacken und Hals. Nerven bewahren. Gleichmäßig atmen. Nur ja keine Panik. Nach einer Weile ließ der Druck nach, und Ingvar tätschelte Davids Wange. So wie er vermutlich seine Dogge tätschelte, wenn ihm danach war.
»Komisch, da fällt mir gerade ein … als ich das hier mietete, fragte ich mich, wer geht denn eigentlich im Zeitalter von DVD und Blu-ray überhaupt noch in ein Sex-Kino, wenn er es sich stattdessen daheim auf der Couch gemütlich machen kann? Also fragte ich den Stotterer an der Kasse … ich weiß gar nicht, ob der von Natur aus Stotterer ist oder nur, solange wir in seiner Nähe sind … jedenfalls … weißt du, was er geantwortet hat? Na?«
»Keine Ahnung, Ingvar. Sag’s mir.«
»Er hat geantwortet: Das ist wie im normalen Kino. Die Leute kommen wegen des Gemeinschaftserlebnisses.«
»Nicht schlecht, die Antwort.«
Ingvars Spiel. Das Pornokino interessierte ihn in Wahrheit einen feuchten Dreck. Ingvar interessierte sich lediglich dafür, zu welchem Zeitpunkt David die Geduld verlor. Das Wissen würde Ingvar abspeichern. Für spätere Gelegenheiten.
»Manthey, ich schwör’s, der meint das ernst. Der hätte sich gar nicht getraut, mich auf den Arm zu nehmen. Ich krieg’s nicht auf die Kette. Wegen des Gemeinschaftserlebnisses. Nur dass die hier nicht zum gemeinsamen Popcorn-Fressen und Ablachen an den falschen Stellen zusammenkommen, sondern zum Rudelwichsen. Deshalb riecht das hier auch so streng. Ist auch blöd, wenn man die Bude nicht mal ordentlich lüften kann zwischendurch. Der Stotterer schwört übrigens tausend Eide, dass regelmäßig auch Kerle kommen, die ihre Frauen dem Publikum vorführen. Nicht auf der Leinwand, sondern in echt, während der Film läuft. Die Gattinnen tragen dann lange Mäntel und nichts drunter, und jeder darf zugucken und mal anfassen. Außerdem …«
»Ingvar?«
»Ja?«
»Lass uns zum Geschäftlichen kommen.«
»Sieh an. Der coole Mister Manthey. Etwa in Eile?«
»Ja.«
»Kann ich gut verstehen. Wäre ich auch. Und außerdem wäre ich ganz schön auf der Hut, an deiner Stelle. Hast dir nämlich ein richtig großes Kaliber rausgepickt, meine Fresse.«
»Uwe Kern …«
»Den meine ich nicht.«
»Milos Kecman.«
»Allerdings. Wer sich mit dem anlegt, ist so gut wie tot.«
»Also gibt es eine Verbindung.«
»Der Reihe nach, mein Freund. Uwe Kern. Das ist übrigens sein Echtname. Sehr interessantes Detail, das mit dem Echtnamen. Willst du an meiner Lebenserfahrung partizipieren, David? Dann pass gut auf: Der Erfolg,
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