Bitter Lemon - Thriller
schildern könnten.
»Hört sich interessant an, Friedbert. Ich bin dabei.«
»Schön. Ich wusste es. Sie sind der Macher-Typ, Kristina. Das habe ich gleich gespürt. Selbstbewusst. Erfolgsorientiert. Hier ist meine Karte. Wie wär’s mit einem Gläschen Prosecco?«
Ebertplatz, Hansaring, Mediapark. David Manthey schlich wie ein Fremder durch die Stadt, die einmal sein Zuhause gewesen war. Nichts schien mehr vertraut. Alles wirkte seltsam grau und gesichtslos. Trotz der Sonne. Die Häuser. Die Straßen. Und die Menschen. Wem konnte er noch trauen? Wem musste er misstrauen? Bedingungslos traute er in dieser Stadt, seit Günther in Sicherheit war, lediglich einem polnischen Schrotthändler, einer arbeitslosen Journalistin, einem kroatischen Seelsorger und einem schwerbehinderten Polizisten kurz vor dem Ruhestand. Nicht gerade das, was man sich als Armee erträumt, um einen serbischen Massenmörder und Sklavenhändler zu jagen.
Und Zoran?
Hatte er Zoran jemals vertraut?
Ja. Hatte er. Bedingungslos. Lange her. So lange, bis Zoran ihn eines Besseren belehrt hatte.
Zoran konnte eine ganze Armee ersetzen, was seine Intelligenz, seine Willenskraft, seine Zähigkeit betraf. Zoran konnte aber auch alles zerstören. Mit seinem Jähzorn.
Ebertplatz, Hansaring. Mediapark.
Als sie sich in der Nacht von Arturs Küchentisch erhoben, nachdem sie diesen irrwitzigen Plan geschmiedet hatten, sah David in erschöpfte, angespannte, aber glückliche, ja fast euphorisch wirkende Gesichter. Artur, Kristina, Tomislav – sie alle hatten vermutlich ihre ganz persönlichen, ganz unterschiedlichen Beweggründe, bei diesem Himmelfahrtskommando mitzumachen. Tomislavs ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Arturs Begriff von Freundschaft und seine unerschütterliche Treue. Kristinas … ja was? Was wusste er über Kristinas Motive? Was wusste er überhaupt über diese Frau? Sie war klug. Sie schien sich ihrer Schönheit zu schämen. Als trüge sie Sorge, man könnte sie nicht mehr für klug halten, wenn man sie attraktiv fände. Sie schien ihre Gedanken zu horten. Hatte sie Angst, mit ihrem Wissen sich selbst preiszugeben? Sie wirkte mitunter so spröde, als besäße sie eine schützende zweite Haut.
Unterm Strich einte sie ein Motiv, das Tomislav Bralic in der Nacht auf den Punkt brachte, als David ihn mit Günthers R4 nach Hause fuhr. Kurz bevor er am Ursulaplatz aus dem Wagen stieg, sagte Tomislav zu David: Im Grunde ist es doch immer das Gleiche. Der stete Versuch des Menschen, seinem kleinen, traurigen Leben einen bedeutenden Sinn zu geben. Und wenn man nicht alleine ist mit diesem Ziel, dann erlebt man so etwas wie Familie, dieses wunderbare Gefühl der Zusammengehörigkeit, das die meisten Menschen gar nicht mehr kennen heutzutage.
David war einen Augenblick lang versucht, Tomislav zu entgegnen, dass man so auch das Funktionieren der Mafia oder des Nationalsozialismus erklären könne, ließ es aber dann doch bleiben und winkte Tomislav aufmunternd zu, als er aufs Gaspedal trat. Nun waren sie also eine Familie, mit dem gemeinsamen Ziel, Zoran, den verlorenen Sohn, heimzuholen. Familie. Dachte er so zynisch, um sich von seiner eigenen trostlosen Familiengeschichte abzulenken? Von seinem namenlosen, gesichtslosen Vater, seiner lieblosen, egozentrischen Mutter? Hatte er nicht selbst erst in einer Ersatzfamilie Zuneigung und Wärme erfahren?
Kannten sie nur das Ziel? Oder kannten sie auch die Gefahr, die das Verfolgen dieses Ziels mit sich brachte? Nur wer die Gefahr kennt, kann sie beherrschen, hatte Willi Heuser ihn gelehrt, damals, als David frisch von der Polizeischule kam.
Ebertplatz, Hansaring, Mediapark. Wem musste er misstrauen? Sicherheitshalber dem Rest der Stadt. Eine Million Menschen. David war auf der Hut, musterte die Passanten, registrierte aus dem Augenwinkel jeden Hauseingang, jedes am Straßenrand geparkte Auto. Waren seine Sinne noch so geschärft wie in früheren Jahren? Geschärfte Sinne brauchte man zum Überleben, sobald man sich entschloss, nicht mehr mitzuspielen, sondern sich anzulegen, mit wem auch immer.
In der Nacht war Artur kurz in seiner Werkstatt verschwunden und mit einem Karton zurückgekehrt, den er auf dem Küchentisch entleerte. Billige Prepaid-Handys, mehrere Dutzend. Keine Sorge, die sind nirgendwo registriert. Aber sobald ihr mit jemandem telefonieren wollt, der auf der Liste stehen könnte, sucht ihr euch einen Standort weit weg von hier. Anschließend verschwindet ihr. Macht eine Spazierfahrt
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