Bitter Lemon - Thriller
mit der U-Bahn. Und nicht vergessen: Werft das Handy nach dem Telefonat sofort weg. Fremde Müllcontainer, öffentliche Abfallkörbe. Immer in Bewegung bleiben. Gleich wenn es hell wird, besorge ich ein sicheres Notebook. Hot Spots gibt’s genug in der Stadt …
Ebertplatz, Hansaring, Mediapark, im Uhrzeigersinn, und wieder von vorne, Ebertplatz, Hansaring, Mediapark, bis Ingvars Leute restlos davon überzeugt waren, dass ihm niemand folgte. Ingvar überließ nie etwas dem Zufall.
Willi Heuser hatte ihm am Morgen wenig Hoffnung gemacht. Willi, gibt es noch jemanden im Präsidium, auf den ich im Notfall zählen kann? Willi Heuser hatte energisch den Kopf geschüttelt. Du? Da muss ich nicht lange überlegen, David. Niemand im Besitz einer Dienstmarke wird dir helfen. Weil du David Manthey bist. Persona non grata. Wenn du es anders gewollt hättest, dann hättest du dieses Buch nicht schreiben dürfen. Willis Gesicht verzog sich für Sekunden vor Schmerz, als er sich setzte und das steife Bein von sich streckte. Jeder Satz in deinem Buch ist wahr, jeder beschriebene Fakt war schon tausendmal Kantinengespräch. Jeder aufrechte Bulle ärgert sich täglich über die unzulänglichen Rahmenbedingungen, die von ignoranten Politikern vorgegeben werden. Die mangelhafte technische Ausrüstung, der Personalnotstand, die Alterspyramide. Mensch, Junge, mich wundert nur, dass die mich mit meinem Hinkebein nicht noch auf Fußstreife nach Chorweiler schicken, um mit halbwüchsigen Handtaschenräubern Nachlaufen zwischen den Wohnsilos zu spielen. Willi lachte kurz auf, dann wurde er wieder ernst. Aber kein einziger Bulle zwischen Hamburg und München, zwischen Köln und Berlin will, dass die deutsche Polizei öffentlich an den Pranger gestellt wird. Ist doch klar, oder? Niemand will zu einer Truppe gehören, deren Unfähigkeit, das organisierte Verbrechen wirksam zu bekämpfen, du kenntnisreich Seite für Seite unter Beweis gestellt hast. Eine völlig normale menschliche Reaktion. Willi beugte sich vor, über den Küchentisch, ergriff Davids Hand und sah ihm eindringlich in die Augen, bevor er weitersprach. Das hat was mit Korpsgeist zu tun, mein Junge. Man übt Kritik nur nach innen, aber nicht nach außen, auch wenn die interne Kritik noch nie was genutzt hat und allenfalls der Karriere schadet. David wollte ihm ins Wort fallen, ihm widersprechen, ihm sagen, dass sich unter diesen Voraussetzungen nie etwas ändere, aber Willi unterbrach ihn mit erhobener Hand. Stopp, mein Junge. Ich weiß genau, was du einwenden willst. Deshalb frage ich dich: Was hat sich denn durch dein Buch nachhaltig geändert? Du kennst die Antwort. Gar nichts. Die Verantwortlichen in der Politik sind doch längst wieder zur gewohnten Tagesordnung übergegangen. Das Schlimmste für die Kollegen war übrigens gar nicht dein Buch, David. Das Schlimmste waren die Medien, die anschließend ihren Senf dazugaben, dein Buch noch übertreffen wollten, schlecht recherchierte Halbwahrheiten auftischten und als Skandal priesen, weil es plötzlich in Mode war, wahllos auf die Polizei einzudreschen. Und die Politiker? Die forderten wieder mal wortreich Konsequenzen, ohne auch nur ein einziges Mal darüber nachzudenken, dass sie in Wahrheit alle miteinander die eigentlichen Erzeuger des Problems sind. Und das gilt nicht nur für das große Drogengeschäft. Aus Personalmangel ist doch heute schon ein Wohnungseinbruch de facto gar kein Verbrechen mehr, sondern nur noch ein lästiger Aktenvermerk für die Versicherung. Und sobald du die Kölner Stadtgrenzen verlässt, ist nachts für ein Gebiet mit einem Radius von 30 Kilometern und mehr ein einziger Streifenwagen zuständig …
Als David Manthey erneut den Hansaring verlassen wollte, um nach rechts zum Mediapark abzubiegen, entdeckte er stadteinwärts, in knapp zwanzig Metern Entfernung, die graue Dogge. Die Passanten beschrieben einen großen Bogen und wichen auf die Straße aus, als wäre der Bürgersteig vermint. Nicht nur wegen des absonderlich großen Hundes mit dem samtig schimmernden Fell, sondern auch wegen des Mannes, der das Tier an der kurzen Leine hielt. Die Hose und das ärmellose weiße Hemd verdeckten zwar einen Großteil der ornamentalen Pracht, aber was an nackter Haut zu sehen war, war fast vollständig tätowiert, selbst der sehnige Hals, der Nacken und die Stirn. David streckte dem Hund den Handrücken entgegen, und während er die schlabbernde Zunge spürte, sah er dem Mann in die Augen, ohne dessen
Weitere Kostenlose Bücher