Bitter Love
verbergen, wie toll ich das fand.
»Ich bin spät dran, tut mir leid«, sagte ich.
Er drehte sich um und strahlte übers ganze Gesicht. »Macht doch nichts«, sagte er. »Rat mal, was passiert ist.«
»Was denn?«, fragte ich, ließ meinen Rucksack auf einen der Stühle fallen und machte den Reißverschluss auf. Er setzte sich wieder auf seinen Tisch.
»Ich habe eine super Note für meinen Essay gekriegt. Siebenundneunzig Prozent.«
»Hey, das ist ja spitzenmäßig!«, rief ich, und bevor mir klar wurde, was ich da tat, hatte ich mich schon vorgebeugt und ihn umarmt. »Glückwunsch!«
»Danke. Ich hab es genau so gemacht, wie du gesagt hast. Hat super geklappt, wie man sieht.«
Ich tat einen Schritt zurück, ein bisschen außer Atem und irgendwie verlegen, aber auf gute Art.
»Schön«, sagte ich, setzte mich und versuchte zu verdrängen, wie gut er gerochen hatte. »Ich hab auch eine Überraschung für dich.«
Er ließ sich auf dem Stuhl gegenüber nieder und stützte die Ellbogen auf der Tischplatte auf. Die Lederärmel seiner Pine-Gate-Jacke knarrten. »Wirklich? Was denn?«
Ich kramte in meinem Rucksack herum und zog schließlich ein abgestoßenes Blatt Papier aus einem Notizheft. Stumm reichte ich es ihm. Ich war so furchtbar nervös, dass ich nicht wusste, was ich hätte sagen können. Von Lehrern abgesehen, gab ich äußerst selten jemandem etwas zum Lesen, das ich geschrieben hatte. Außerdem war Cole nicht irgendwer. Ich wünschte mir, dass er von mir beeindruckt wäre, auch wenn ich nicht wusste, warum.
Einen Moment lang starrte er das Blatt nur an, mit zusammengezogenen Brauen. »Oh!«, sagte er endlich und begann zu strahlen. »Das ist dein Gedicht! Das, für das du den Preis gekriegt hast, stimmt’s?«
Ich nickte und hatte das Gefühl, ich würde jeden Moment in Ohnmacht fallen. »Aber du musst es nicht lesen.«
»Ich will aber«, sagte er und las laut vor:
Ich kann deine eckigen Augen nicht schlucken
Ohne Blick für mein schrumpfendes Herz
Meine eingesunkene Brust
Schultern zum spiegelblanken Boden
Ich kann deine verschränkten Arme nicht schlucken
Meine Kehle das Bein eines Ertrunkenen
Rauch von brennenden Autoreifen
Deine Ellbogen spitz wie Messer an meinen Schläfen
Ich kann deine kühle Zunge nicht schlucken
Schnalzend hinter den Zähnen, während du
Aufzählst, worin ich versagt habe
Ich kann bloß Staub und Steppenkugeln weinen
Einen verwitterten Holzpfosten
Eine Handvoll rostiger Nägel
Die aus mir rinnen wie Murmeln
Nachdem er zu Ende gelesen hatte, sagte er eine Weile lang kein Wort. Er saß einfach nur da und starrte das Blatt an. Mein Gesicht wurde heiß, ich spürte ein Ziehen im Brustkorb und wurde unendlich verlegen.
Außer Mrs Moody hatte ich noch nie jemanden dieses Gedicht lesen lassen. Als ich es ihr damals zeigte, hatte sie erst ihre Lesebrille abgesetzt und die Abdrücke am Nasenrücken gerieben, dann hatte sie mir erklärt, dass sie genau wisse, was ich damit tun müsse. Am nächsten Tag brachte sie mir die Unterlagen für einen Wettbewerb junger Lyriker mit. Ihrer Überzeugung nach hätte ich gute Aussichten. Zwei Monate später erfuhr ich, dass ich den ersten Platz gewonnen hatte, und war ganz aus dem Häuschen vor lauter Begeisterung – aber zugleich immer noch verlegen. Dieses Gedicht war ein Teil meines Wesens. Meine Gedanken lebten darin. Meine verborgenen Gefühle. Es herumzuzeigen wäre mir vorgekommen, als würde ich in Unterwäsche vor meinen Mitschülern herumlaufen.
»Wahrscheinlich gab es nicht viel Konkurrenz«, hörte ich mich sagen. In der Stille des Raums klang meine Stimme kratzig und verzerrt, wie wenn im Radio derSender schlecht eingestellt ist. Ich wollte nach dem Blatt in Coles Hand greifen, aber er ließ mich nicht.
»Machst du Witze?«, sagte er. »Das ist gut. Ich meine,
richtig
gut.«
Ich spürte, wie meine Lippen ein Lächeln zustande brachten, obwohl mir vor lauter Verlegenheit immer noch ganz schwummrig war. »Meinst du?«, fragte ich.
Endlich schaute er auf, mit leicht geöffneten Lippen. »Auf jeden Fall. Ich lese ja kaum Gedichte, aber das hier …« Er blickte wieder auf das Blatt. »Wow. Du bist wie … Emily Dickinson oder so.«
»Oha! Danke«, sagte ich.
Er sah mich an, wir guckten einander direkt in die Augen. Es kam mir so vor, als wäre er irgendwie … berührt.
Irgendwann riss ich mich von seinem Blick los und begann, in meinem Rucksack herumzukramen, holte mein Notizbuch raus und
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