Bitter Love
warf es in vorgetäuschtem Arbeitseifer zwischen uns auf den Tisch. »Also, was müssen wir heute durchgehen?«, fragte ich.
Doch er starrte mich einfach weiter an. Inzwischen war sein Grübchen wieder zu sehen, direkt neben dem Mundwinkel. »Hat das Gedicht einen Namen?«, fragte er.
Ich dachte darüber nach und fühlte mich furchtbar befangen. Auf gute Art, aber trotzdem. Darum räusperte ich mich und grinste.
»Ja«, sagte ich. »Es heißt ›mein persönliches Charisma und mein gutes Aussehen‹.« Unser Privatwitz.
Er lächelte, diesmal breit und unübersehbar, dann lachte er laut los. Er gab mir mein Gedicht zurück undich stopfte es wieder in den Rucksack. Mein Unbehagen und meine Befangenheit waren wie weggewischt.
»Können wir jetzt anfangen zu arbeiten?«, fragte ich mit einem Blick auf die Uhr. »Mrs Moody wäre stinksauer, wenn sie wüsste, dass ich unsere kostbare Zeit mit irgendwelchen selbst verfassten Gedichten verschwende.«
»Okay, okay«, sagte er und griff nach seinem Englischbuch, das neben ihm auf dem Tisch lag. Er schmiss es neben mein Notizbuch und begann darin zu blättern. »Wenn du unbedingt willst. Aber ich persönlich bin der Meinung, dass das mit dem Gedicht überhaupt keine Zeitverschwendung war.«
Er schien weiter in seinem Buch herumzusuchen, aber als ich den Kopf hob und ihn anschaute, sah er mir mit einem tiefen Blick direkt in die Augen. Rasch senkte ich die Lider. Ich wurde rot und versuchte mir einzureden, dass dieser Blick nichts weiter bedeutete. Er fand einfach mein Gedicht gut, und fertig.
Aber egal was dieser Blick zu sagen hatte, ich musste mir eingestehen, dass er mir durch und durch ging, bis hinunter in die Zehenspitzen.
Kapitel 5
Ohne anzuklopfen stürmte ich bei Bethany durch die Eingangstür. Wir waren schon so lange befreundet, dass ihre Eltern das ganz normal fanden. Als wir noch klein waren, hatte Bethany direkt gegenüber von Zack und mir gewohnt. Wir waren in die Häuser der anderen und wieder zurück gerannt, ohne es überhaupt zu merken. Als Bethany dann in der sechsten Klasse ans andere Ende der Stadt umgezogen war, machte ich aus Gewohnheit einfach weiter damit.
Bethanys Mutter saß auf dem Sofa, hielt den Kopf von Bethanys kleinem Bruder auf dem Schoß fest und fuchtelte mit einer Pinzette über seinem Ohr herum. Er schrie und zappelte so sehr, dass seine leuchtend roten Haare an ihrem Arm entlangstreiften.
»Hallo, Alex«, sagte sie, als ich durch die Tür kam. »Kannst du mir mal eben helfen?«
»Klar«, sagte ich. Dabei war ich sowieso viel zu spät dran. Wahrscheinlich hatte Zack schon die ganze Pizza vertilgt und die beiden waren gerade dabei, sich eine Strafe für mich auszudenken. Als Bethany letztes Mal zu spät zu unserem Colorado-Abend gekommen war, hatte Zack sie gezwungen, vor laufender Kamera
I’m too sexy
zu singen und die Aufnahme auf Facebook hochzuladen. Aber Bethanys Mutter war total nett und ihrevier verrückten Jungs trieben sie immer wieder an den Rand der Verzweiflung. Sie tat mir leid, ich konnte sie nicht hängen lassen.
»Er hat sich eine Rosine reingesteckt«, sagte sie, reichte mir die Pinzette und deutete auf sein Ohr. »Ich seh sie genau, aber er hält einfach nicht still, darum krieg ich sie nicht zu fassen.«
Ich zögerte. »Soll ich’s mal versuchen?«
Sie nickte. »Ich hab so was schon millionenmal hingekriegt. Mach dir keine Sorgen, solange du das Ding nicht noch weiter ins Ohr reindrückst, kann nichts passieren. Man sollte allerdings meinen, diese Gören lernen es irgendwann. – Hör auf, Ryan«, pflaumte sie Bethanys kleinen Bruder an und klemmte sich seine Beine unter den Arm.
»Ich weiß nicht, ob ich …«
Ryan heulte wieder los und trat jetzt noch wilder um sich. Beinahe hätte er es geschafft, den Kopf aus dem Griff seiner Mutter zu winden. »Ryan! Nein!«, rief sie und gab ihm eins auf den Hintern. Jetzt zappelte er nicht nur, sondern kreischte auch noch aus vollem Hals. »Du kriegst das schon hin. Mach einfach schnell.«
Ich beugte mich vor, hielt die Luft an und betete, dass sich Bethanys kleiner Bruder nicht auf einmal losriss und sich die Pinzette ins Trommelfell rammte. Mein Gesicht war ganz nah an dem von Bethanys Mutter. Sie wirkte erschöpft, hatte Falten und roch nach Käse-Makkaroni. Schnell und ohne nachzudenken schob ich die Pinzette in Ryans Ohr und schnappte mir die Rosine, die – Gott sei Dank! – gleich im Ganzen herauskam. Bethanys Mutter ließ Ryan los, der mit
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