Bitter Love
geküsst hatte?
Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Also räumte ich erst das Zimmer auf, schob den Tisch wieder gerade hin und stellte die Stühle auf. Dabei zitterte ich am ganzen Körper. Meine linke Hand – die, die er malträtiert hatte – konnte ich nicht richtig benutzen, darum musste ich die Möbel schieben und herumzerren.
Ein Teil meiner selbst wollte einfach nicht glauben, was gerade passiert war. Es kam mir vor, als wäre das nur ein böser Traum gewesen und ich könnte aufwachen – schaudernd und aufgewühlt zwar, aber erleichtert, dass es vorbei war. Doch ein anderer Teil von mir wusste sehrwohl, dass das, was ich eben erlebt hatte, wirklich war. Dieser Teil meiner Selbst hatte schon bei der Party am See begriffen, was los war. Schon da hatte ich gespürt, dass Cole etwas Gefährliches ausstrahlte. Aber niemals, nicht in einer Million Jahren, hätte ich mir das hier vorstellen können.
Langsam und zittrig ließ ich mich auf einen Stuhl sinken. Ich drehte den Arm und betrachtete mein Handgelenk, das rot angelaufen war und üble Quetschspuren hatte. Bestimmt würde es gleich anschwellen und grün und blau werden. Ich zog den Bund meiner Jeans ein Stück herunter. An meiner Hüfte hatte sich ein hässlicher, dunkler Bluterguss gebildet.
Da kamen mir die Tränen.
Wie konnte er es wagen? Wie hatte er mir das nur antun können?
Meine Gedanken überschlugen sich. Was sollte ich jetzt machen?
Ich hatte das Gefühl, ich müsste jemandem erzählen, was mir gerade zugestoßen war. Müsste rausrennen auf den Korridor und laut schreien. Müsste die Polizei holen. Mr Nagins Bescheid sagen, dem Beratungslehrer. Einfach irgendwas tun. Bethany anrufen. Ins Tutorenzimmer nebenan laufen und Zack um Hilfe bitten. Irgendwen ansprechen und …
Und was? Ihm meine Verletzungen zeigen? Ihm von der Party am See erzählen? Oder von der Geschichte mit dem Karussell auf dem Spielplatz, wo er mir absichtlich Angst eingejagt hatte? Wollte ich demjenigen gestehen, dass ich trotzdem mit Cole ins Bett gegangen war, obwohl er mir schon einmal wehgetan hatte? Dass ich tausendErklärungen gefunden hatte, um sein Verhalten an diesem Abend zu entschuldigen?
Ich schämte mich so. Ich mochte mir nicht mal vorstellen, irgendwem all diese Dinge anzuvertrauen. Dinge, die mich dumm und naiv und erbärmlich wirken ließen – wo ich doch wusste, dass das alles nicht zutraf. Mir war klar, dass das alles komplizierter war. Aber außer mir selbst würde das niemand verstehen.
Ganz davon abgesehen, dass mich Mr Nagins wahrscheinlich in irgendein furchtbar peinliches Programm für Mädchen stecken würde, die von ihren Freunden verprügelt wurden. Dad würde in die Sache reingezogen. Es gäbe ein Riesentheater, weil das Ganze auf dem Schulgelände passiert war. Und alle würden es erfahren.
Ich wusste genau, wie so was hier an der Schule lief – wenn auch nur eine einzige Person so etwas mitkriegte, wussten es in null Komma nichts alle. Und ich war absolut nicht dazu bereit, vor der ganzen Schule als abschreckendes Beispiel für Gewalt in Beziehungen dazustehen.
Hast du gehört, was Alex Bradford passiert ist? Gott, wie dämlich kann man bloß sein? Ich würde ihm ordentlich in den Arsch treten.
Wahrscheinlich würden sie sogar von mir verlangen, dass ich anderen Schülern meine Geschichte erzählte, damit sie etwas daraus lernen konnten. Und die ganze Zeit würden alle nur denken, wie unfassbar bescheuert es war, dass ich mich nicht gewehrt hatte. Sie würden sich fragen, wie ich mich nur in so einen Typen hatte verlieben können. Sie würden mich jämmerlich finden.
Und, Gott im Himmel, was war mit Bethany?
Er wirkt irgendwie nicht so wirklich nett
, hatte sie gesagt.
Pass gut auf dich auf.
Wenn ich ihr erzählte, was er gerade getan hatte, wäre sie überzeugt, dass sie von Anfang an recht gehabt hatte. Ich brächte sozusagen selbst den Beweis.
Und weiß der Himmel, was Zack anstellen würde, wenn er davon erfuhr.
Aber am allerschlimmsten – ich konnte es selbst nicht fassen, als ich mich bei diesem Gedanken ertappte – war, dass Cole mich hassen würde, wenn ich allen die Wahrheit erzählte. Er würde mir das niemals verzeihen.
Ich hasste mich selbst dafür, dass ich sogar in dieser Lage noch an Coles Gefühle dachte, doch ich konnte es nicht ändern, es war einfach so.
Ich verschränkte die Arme auf dem Tisch, legte den Kopf darauf und weinte, während ich an all das und noch mehr dachte.
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