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Bittere Mandeln

Bittere Mandeln

Titel: Bittere Mandeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata
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Schüler draußen sind?«
    »Bis vor ungefähr zehn Jahren habe ich das gemacht. Dann hat der iemoto mich gebeten, diese Aufgabe einer anderen Lehrerin zu überlassen.«
    »Und wem?« fragte ich, obwohl ich mir schon denken konnte, wie ihre Antwort ausfallen würde.
    »Sakura Sato. Jetzt, da sie nicht mehr am Leben ist, müssen wir wohl jemand anderen für diese Aufgabe finden.«

22
    Als ich Mrs. Kodas Wohnung zwanzig Minuten später verließ, war ich ziemlich unruhig, ohne auch nur einen Tropfen Tee getrunken zu haben.
    Ich spielte mit dem Gedanken, Mari sofort anzurufen und ihr zu sagen, daß Sakura Sato fast sicher für ihr Versagen in den Prüfungen verantwortlich gewesen war, doch da fuhr ein Zug ein, und ich beschloß, mich von zu Hause aus mit Mari in Verbindung zu setzen. Im Zug wippte ich ungeduldig mit dem Fuß. Obwohl es erst neun Uhr war, füllte der Wagen sich allmählich mit Angestellten, die nun ihre Büros verließen. Die Männer ließen sich auf die Sitze sinken; schon bald glitt ihnen die Zeitung aus den Händen, und sie schliefen ein. Ganz bestimmt lebten einige von ihnen genau wie Onkel Hiroshi der Arbeit wegen von ihren Familien getrennt.
    Ich fragte mich, ob Hiroshi und Norie zu Hause waren. Allmählich bekam ich ein schlechtes Gewissen. Meine Tante hatte sich drei Tage lang um mich gekümmert, und ich war aus der Wohnung gestürmt, ohne mich von ihr zu verabschieden oder zu bedanken. Nachdem ich Takeos Vermutung über die mögliche sexuelle Beziehung Nories mit seinem Vater gehört hatte, würde mir ein Anruf bei ihr noch schwerer fallen.
    Sobald ich zu Hause war, rief ich Mari Kumamori an. Sie war selbst am Apparat. Als ich ihr die Sache mit Sakura erzählt hatte, bedankte sie sich.
    »Ich werde mich noch einmal zur Prüfung anmelden, Shimura-san. Wie merkwürdig, daß diese Zeit der Tragödien etwas Gutes für mich gebracht hat. Glauben Sie, das macht mich in den Augen der Polizei verdächtig?« fragte sie.
    »Nein, das glaube ich nicht.« Wenn man daran gehindert wurde, innerhalb der Ikebana-Hierarchie nach oben zu kommen, war das doch sicher kein ausreichendes Motiv für einen Mord. Oder doch?
    Nach dem Gespräch mit Mari wählte ich die Nummer meiner Tante und meines Onkels in Yokohama. Es meldete sich Tom, der mir erklärte, seine Eltern seien bereits ins Bett gegangen.
    »Aber es ist doch erst halb zehn!« Japaner gingen normalerweise erst nach Mitternacht schlafen, weil der Familienvater im Regelfall zwischen zehn und elf nach Hause kam.
    »Sie verbringen viel Zeit miteinander. Ich glaube, das tut ihnen gut«, flüsterte Tom.
    »Du meinst, sie …« Er wollte doch wohl nicht sagen, daß meine Tante und mein Onkel gerade miteinander intim waren?
    »Nein, du immer mit deiner schmutzigen Phantasie. Mutter hat Vater endlich dazu gebracht zu reden, und jetzt weint er sich aus. Das Problem ist nur, daß sie mich dafür vernachlässigt. Ich hab’ sogar selber kochen müssen, weil die beiden immer wieder stundenlang verschwinden, um zu reden.«
    »Tom, bedenke, wie sehr sich deine Zukünftige über deine Kochkünste freuen wird«, neckte ich ihn. »Bist du weit genug vom Zimmer deiner Eltern weg, daß sie dich nicht hören können?«
    »Ja. Ich bin im Wohnzimmer, und sie sind oben.«
    »Ich möchte dich nämlich etwas fragen. Deine Mutter hat mir erzählt, daß sie schon seit Jahren anonyme Briefe bekommt. Die Briefe enthalten Haikus von berühmten Dichtern, die einen versteckten Sinn zu haben scheinen. Weißt du davon?«
    »Mir gegenüber hat sie nichts davon erwähnt. Allerdings habe ich sie vor ungefähr einem Jahr mit einem zerknüllten Brief in der Hand in der Waschküche weinen sehen. Ich habe sie gefragt, was los ist, aber sie hat mir eine Geschichte von einer hohen Rechnung erzählt. Mir ist aufgefallen, daß auf dem Brief weder ein Firmenname noch ein Poststempel war.«
    »Und du hast dich einfach damit abspeisen lassen?«
    »Welchen Grund sollte meine Mutter haben zu lügen? Mir war damals wichtiger, daß sie meine Lunchbox für die Arbeit rechtzeitig fertig kriegt. Ich fürchte, ich war ziemlich egoistisch.«
    Ich wandte mich einem anderen Thema zu. »Hat sie viel vom iemoto erzählt, als du klein warst?«
    »Nein, eigentlich nicht. Die Ikebana-Kurse waren ganz ihre Welt. Außerdem ist sie erst richtig aktiv, seit Chika im College ist.«
    Wieder das Phantom meiner Cousine. Die kleine Chika und die erwachsene Chika erschienen mir wie zwei Buchstützen, die die Zeit einrahmten, in

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