Bittere Mandeln
Mrs. Koda mich lächelnd.
Der Austausch von Höflichkeiten lief so gut, daß es fast schade war, sich dem eigentlichen Thema zuzuwenden. »Ich bin wieder gesund, und sie ist nach Hause zurückgekehrt. Mein Onkel ist aus Osaka gekommen. Er braucht sie jetzt.« Ich schwieg eine Weile, dann sagte ich: »Ich wollte Ihnen die Sache mit der Kayama-Keramik erklären.«
»Takeo hat mich informiert, daß Sie einen Artikel darüber schreiben wollen. Wenn Sie das Miss Okada oder mir schon unten gesagt hätten, hätten wir alles besser verstanden.«
»Waren Sie nervös, weil sämtliche Kayama-Keramiken aus dem Archiv fehlten?«
Mrs. Koda sah mich verblüfft an. Nach kurzem Zögern sagte sie: »Ja.«
»Wer hat den Verlust entdeckt?« fragte ich.
»Miss Okada hat ihn vor sechs Wochen bemerkt, weil sie regelmäßig ins Archiv geht, um Gefäße für ihren Tisch an der Rezeption zu holen. Sie ist zu mir gekommen. Ich habe sofort mit Takeo darüber gesprochen, aber er hatte nicht den Mut, den iemoto zu informieren. Vielleicht hat er gedacht, die Gefäße seien nur an einem anderen Platz und er könne sie noch finden.«
»Ich habe meine Kayama-Keramik in einem Antiquitätenladen ein paar Häuserblocks von hier entfernt gekauft. Dort befinden sich noch weitere, möglicherweise der ganze Rest der Sammlung. Damit er sie der Schule zurückgeben kann, braucht der Geschäftsinhaber einen Beleg, daß die Stücke tatsächlich einmal Schuleigentum waren.«
»Was für einen Beleg?« fragte Mrs. Koda. Mir fiel auf, daß sie sich überhaupt nicht mit der Frage beschäftigte, wer die Keramiken in den Laden gebracht hatte.
»Eine genaue Auflistung. Takeo-san meint allerdings, daß es eine solche Inventarliste nicht gibt.«
»Aber natürlich gibt es eine Liste«, versuchte sie, mich zu beruhigen. »Ich mache Listen von allen möglichen Dingen. Vor zwanzig Jahren habe ich eine Liste aller Kayama-Keramiken erstellt. Keine Sorge, ich finde sie für Sie. Rei-san, danke, daß Sie mich auf das Problem aufmerksam gemacht haben. Sie haben richtig gehandelt.«
»Ich habe da noch etwas anderes für Sie«, sagte ich, holte die immer noch in das Papiertaschentuch eingewickelte Nolvadex-Tablette aus meiner Tasche und hielt sie ihr hin. »Ich glaube, das haben Sie verloren.«
Sie musterte die Tablette in ihrer Hand. »Wo haben Sie die gefunden?«
»Im Sekretariat. Das ist Nolvadex, stimmt’s?«
»Ich war wohl unachtsam.« Mrs. Koda legte die Tablette auf einem Beistelltischchen ab und faltete die Hände. Sie wirkte niedergeschlagen.
»Haben Sie Krebs?« fragte ich.
Sie nickte kaum merklich. »Das weiß niemand außer Takeo-san.«
»Aber Sie sind doch in der Schule sehr beliebt – man würde Ihnen sicher helfen, wo es nur geht.«
»Nein, man würde mir nahelegen, daß ich meine Arbeit aufgebe«, sagte sie. »Und dann hätte ich nichts mehr zu tun. Ikebana ist mein Leben. Ich möchte so lange weitermachen, wie ich kann.«
»Glauben Sie, daß Ihre Krebserkrankung etwas mit Ihrer Tätigkeit zu tun haben könnte?«
»Das weiß ich nicht.« Ihr Gesichtsausdruck verriet mir, daß sie diese Frage nicht zum erstenmal hörte.
»Hatte Ihre Mutter oder eine Tante Brustkrebs?«
Sie schüttelte den Kopf und streckte mir die Hände hin. »Wie alt meine Hände aussehen! Als ich noch ein Mädchen war und gerade damit anfing, die Blumen aus dem Garten meiner Eltern zu arrangieren, waren meine Finger ganz weich und glatt. Ich habe eine Ikebana-Demonstration für meinen späteren Ehemann gemacht, und er hat immer gesagt, daß er sich in meine Hände verliebt hat.«
»Was für ein romantischer Mann. Aber um noch einmal aufs Thema zurückzukommen: Wenn in Ihrer Familie bisher niemand an Brustkrebs erkrankt ist, könnte ein Umweltgift der Auslöser der Krankheit gewesen sein.«
»Mein Mann wollte immer alles unter Kontrolle haben«, sagte sie, auf ihrem Thema beharrend. »Er hat mir nicht erlaubt zu arbeiten, obwohl ich ein wunderbares Angebot von Masanobu Kayama hatte, als dieser die Schule Anfang der sechziger Jahre von seinem Vater übernahm. Masanobu- sensei hätte mich gebraucht, aber mein Mann war der Meinung, daß eine Frau meiner Schicht nicht arbeiten darf. Also war ich tagsüber, wenn mein Mann im Büro war, ehrenamtlich in der Schule tätig. Ich konnte mich erst nach seinem Tod fest anstellen lassen.«
»Das heißt, daß Sie seit ungefähr dreißig Jahren mit importierten Blumen umgehen?« fragte ich.
»Eher noch ein bißchen länger. Die
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