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Bittere Mandeln

Bittere Mandeln

Titel: Bittere Mandeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata
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der Norie mit der Kayama-Schule Kontakt gehabt beziehungsweise sich von ihr zurückgezogen hatte.
    »Hat der iemoto etwas mit diesen Briefen zu tun?« fragte Tom.
    »Ich glaube schon«, sagte ich. »Könntest du mir einen Gefallen tun und ein Auge auf deine Mutter haben? Ich mache mir Sorgen um sie.«
    »Und ich mache mir Sorgen um dich, Rei. Ich habe das Gefühl, daß du dich schon wieder in etwas einmischst. Was ist aus dem Nolvadex geworden?«
    »Du hast recht gehabt. Ich habe Mrs. Koda gefragt, und es stimmt, sie erholt sich gerade von einer Brustamputation. Ich habe ihr versprochen, niemandem davon zu erzählen, aber du weißt es ja sowieso schon.«
    »Von mir erfährt niemand etwas, das verspreche ich dir. Hat sie einen Rückfall gehabt? Wenn sie irgendwelche Fragen hat, könnte ich für sie einen Termin in unserer onkologischen Abteilung vereinbaren.«
    »Sie ist noch in Behandlung. Ich selbst hätte allerdings nichts dagegen, mich mit jemandem aus der Onkologie zu unterhalten, weil ich herausfinden möchte, ob es eine eindeutige Verbindung zwischen der Verwendung von Pestiziden und dem Auftreten von Brustkrebs gibt.«
    »Arbeitest du jetzt mit diesen Umweltschutzfanatikern zusammen, die meine Mutter beschimpft haben?« Tom klang entsetzt.
    »Nein, aber hier geht es um etwas, das deine Mutter und alle Frauen betrifft, die mit Blumen arbeiten.«
    »Hör zu, Rei, es gibt viel schlimmere Dinge, die meine Mutter das Leben kosten könnten«, sagte Tom mit leiserer Stimme. »Jetzt geht oben die Tür. Jemand kommt runter. Ich muß auflegen.«

    Ich träumte die ganze Nacht von riesig großen Blumen, die giftige Gase verströmten, und wachte am nächsten Morgen bereits früh auf. Es war sieben Uhr, ein Sonntag. Um die Zeit brauchte ich weder Rush-hour noch Abgaswolken zu befürchten; jetzt waren so wenige Leute unterwegs, daß ich auf dem Weg von Yanaka nach Ocha-no-mizu beim Joggen niemandem ausweichen mußte. Ich lief unter einer Gruppe von Kirschbäumen dahin und wunderte mich, daß die Leute heruntergefallene Kirschblüten nicht genauso wegfegten wie Herbstlaub. Die Blüten galten nicht als Abfall, sondern als ästhetische Verzierung. Unter meinen Füßen wurden sie zu zartrosafarbenen Punkten zertreten – das gab ein hübsches Muster auf dem dunkelgrauen Gehsteig.
    Gut, daß Tom gesehen hatte, wie seine Mutter mit dem Brief in der Hand weinte. Ziemlich wahrscheinlich hatte es sich dabei um ein Haiku gehandelt. Ich spielte mit dem Gedanken, Takeo davon zu erzählen, war aber nach meiner letzten Begegnung mit ihm unsicher geworden. Wollte er wirklich meine Tante von jedem Verdacht reinwaschen und Sakuras Mörder finden, oder war er nur darauf aus, ein Mädchen flachzulegen?
    Ich redete mir ein, daß es bereits genug Männer in meinem Leben gab: meinen Cousin Tom, der mich in medizinischen Dingen beraten konnte und ansonsten wie ein großer Bruder für mich war; Mr. Waka, der mich mit Kaugummi und dem neuesten Klatsch versorgte; und Mr. Ishida, der mir Wissen vermittelte. Ganz zu schweigen von Richard, der seit Jahren mein bester Freund war, jetzt aber in Che Fujisawas Umweltschützergruppe möglicherweise in großer Gefahr schwebte. Ich mußte mit Richard sprechen, bevor ihm etwas passierte.
    Also machte ich mich auf den Weg zu It’s Happening!, der Sprachenschule, in der er arbeitete. Ich lief ein paar Straßen hinunter, bevor ich das kleine Gebäude fand, in das er mich am vergangenen Valentinstag als seine angebliche Freundin geschleppt hatte. In einem Fenster im ersten Stock entdeckte ich das Schild der Sprachenschule. Es war noch früh am Tag, aber vielleicht hatten sich schon ein paar Lehrer dort eingefunden. Vermutlich war jetzt der richtige Zeitpunkt, ihm eine Warnung zukommen zu lassen. Ich drückte auf die Klingel des Schulsekretariats, während ich allmählich wieder zu Atem kam.
    »Hai?« meldete sich die müde Stimme eines jungen Mannes.
    »Ich habe eine Nachricht für einen Lehrer Ihrer Schule. Darf ich raufkommen und ihm einen Zettel dalassen?« Ich tat so, als habe ich es ziemlich eilig.
    »Rei?«
    Es gab nur einen bei It’s Happening!, der meine Stimme so schnell erkennen würde. Aber ganz sicher war ich mir dann doch wieder nicht.
    »Randall- sensei , sind Sie das?« fragte ich, immer noch auf japanisch.
    »Wer denn sonst? Komm rauf.«
    Ich lief die Treppe hinauf und trat durch die Tür, die Richard mir aufhielt. Er trug dasselbe Hemd und dieselbe Hose wie am Abend zuvor. Die Jacke hatte er

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