Bittere Mandeln
Rover? Den können Sie nicht vor der Einfahrt des Nachbarn stehen lassen. Dort könnte er abgeschleppt werden.«
»Der ist vom Händler geliehen, also was soll’s? Außerdem ist er größer als die meisten Abschleppwagen, wäre also nicht so leicht von der Stelle zu bewegen. Als Takeo unseren Wagen vor ein paar Tagen zu Schrott gefahren hat, mußten die Leute von der Polizei einen besonderen Abschleppwagen anfordern.«
Also wußte sie über den Unfall Bescheid, obwohl Takeo ihr nichts davon hatte erzählen wollen. War das gut oder schlecht? Ich konnte mich nicht entscheiden und sagte statt dessen zu Natsumi: »Kommen Sie doch herein.«
»Nicht viele Frauen in unserem Alter haben ihre eigene Wohnung«, sagte sie, während sie aus ihren Schuhen schlüpfte. »Bekommen Sie Geld von Ihren Eltern?«
»Ich verdiene selbst genug. Und so toll ist die Wohnung auch wieder nicht.«
»Ach, sagen Sie das nicht. Wir Japaner reden die ganze Zeit so über unsere Wohnungen – angeblich sind sie schrecklich häßlich oder ärmlich –, aber diese hier ist wirklich schön. Sie haben ein gutes Auge für Innenausstattung.«
»Mit Blumen habe ich allerdings weniger Geschick«, sagte ich, als ihr Blick auf das Arrangement fiel, das ich aus den Bittersüßen Nachtschatten ihres Bruders gefertigt hatte.
»Es dauert Jahre, bis man die Kunst des Ikebana beherrscht. Schauen Sie sich doch nur Ihre Tante und deren Freundinnen an. Sie beschäftigen sich seit fast vierzig Jahren damit.«
»Und wie lange machen Sie das schon?« fragte ich, ging in die Küche und schaltete den Tauchsieder ein, um uns einen Tee zu kochen.
»Seit meinem sechzehnten Lebensjahr. Takeo mußte schon mit zehn anfangen, weil er später die Schule übernehmen wird.« Natsumis Lederhose knarrte, als sie sich auf einen der niedrigen Stühle bei der Gasheizung setzte, die rot glühte wie ein kleiner Kamin. »Ich hab’ ihnen gesagt, daß es keinen Sinn hat, mich auszubilden, weil ich sowieso heiraten würde. Aber mein Vater hat mir erklärt, daß kein junger Mann aus guter Familie bereit wäre, eine Kayama zu heiraten, die keine Blumen arrangieren kann. Also hab’ ich’s versucht und festgestellt, daß es gar nicht so übel ist. Ich fertige hin und wieder Gestecke für Kaufhäuser, was viel mehr Spaß macht, als ständig im Kayama Kaikan zu sein.« Natsumi winkte mit ihrer schlanken Hand ab. Dabei fielen mir zum erstenmal ihre blutrot lackierten Fingernägel auf. »Für mich keinen Tee. Der schwemmt mich zu stark auf. Haben Sie auch eine Ginseng-Limonade?«
»Tut mir leid, nein. Aber ich könnte Ihnen ein Wasser oder einen Grapefruitsaft anbieten.«
»Haben Sie Evian?« Als ich den Kopf schüttelte, sagte Natsumi: »Tja, dann nehme ich lieber gar nichts. Man kann gar nicht vorsichtig genug sein.«
Zwar hatte ich mich bei Mrs. Koda ganz ähnlich verhalten wie sie, aber es ärgerte mich doch, daß Natsumi andeutete, ich könne vorhaben, sie zu vergiften. Es wäre unhöflich von mir gewesen, allein Tee zu trinken, also ließ ich meine Tasse mit dem frisch gebrühten Darjeeling auf der Arbeitsfläche stehen. Ich schob den Kimono, den ich zuvor anprobiert hatte, beiseite, und setzte mich ihr gegenüber hin. Der Seidenstoff ergoß sich auf den Boden wie ein glänzend rosa- und malvenfarbener Wasserfall.
»Treffen Sie Vorbereitungen für ein Kostümfest?« fragte Natsumi.
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete ich und erwähnte lieber nichts von dem Kirschblütenfest ihrer Familie, weil ich fürchtete, daß sie mir dann sagen würde, der Kimono sei völlig unpassend. »Es interessiert Sie vielleicht, daß es im Victoria and Albert Museum in London voriges Jahr eine große Kimono-Ausstellung gegeben hat. Andere Kulturen scheinen alte japanische Kimonos mehr zu schätzen als die Japaner selbst.«
»Ich bin nicht hier, um mich mit Ihnen über Mode zu unterhalten«, sagte Natsumi, obwohl sie es gewesen war, die den Kimono erwähnt hatte. »Nein, ich möchte Sie, sozusagen von Frau zu Frau, vor meinem Bruder warnen.«
»Wieso das denn?« Offenbar wußte sie, daß ich ein paar Tage zuvor ganz allein mit ihm in seinem Büro gewesen war.
»Ich fürchte, er könnte Ihre Gefühle verletzen. Er würde ein bißchen mit Ihnen spielen, aber etwas Ernsteres könnte sich daraus nie entwickeln.«
Ich spürte, wie ich rot wurde. Also wußte sie Bescheid. Mein Gott, wie peinlich.
»Nun, ich begreife durchaus, warum Sie ihn so attraktiv finden. Er ist unverheiratet, reich und genau
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