Bittere Mandeln
dir!« mischte Tom sich ein. »Vater, hast du das Umleitungsschild gesehen? Du mußt dich links einordnen.«
»Eigentlich sollte die Straße hier für die Touristen ausgebaut werden, aber statt dessen gibt es nur immer Probleme«, beklagte sich Onkel Hiroshi.
»Sollen wir an der nächsten Raststätte wechseln? Ich fahre gern«, sagte Tom. »Ich hab’ den Wagen ja auch in deiner Abwesenheit benutzt.«
»Ja, und jetzt bin ich zurück. Da bist du sicher enttäuscht!« herrschte Hiroshi ihn an.
Die verrostete Metallfigur eines Polizisten mit ausgestreckter Hand signalisierte, wo die Umleitung abzweigte. Hiroshi lenkte den Honda so schnell in die Kurve, daß der Wagen mit der Stoßstange die Metallfigur rammte. Sie fiel scheppernd um, doch mein Onkel fuhr weiter.
»Jetzt kommen die anderen Autos nicht mehr vorbei. Wir müssen zurück und die Figur wieder aufstellen«, meinte Norie.
»Immer willst du alles in Ordnung bringen!« rief Hiroshi. »Aber das hier ist was anderes, als den Abfall aus dem Tempelgarten mitzunehmen. Wir sind auf einer Einbahnstraße. Umdrehen ist nicht erlaubt.«
Die allgemeine Anspannung ließ meinen Magen tatsächlich flau werden. Ich wollte so schnell wie möglich aus dem Auto heraus. »Du könntest auf dem Seitenstreifen anhalten, dann laufe ich rasch zurück. Wir sind noch nicht mal einen Kilometer entfernt. In zehn Minuten bin ich wieder da.«
»In zōri?« fragte Norie mit Blick auf meine Holzsandalen.
»Die ziehe ich aus.«
Doch Hiroshi hielt nicht an. Wir diskutierten die nächsten fünfzehn Kilometer über die Sache mit der umgefallenen Metallfigur, bis wir von der asphaltierten Straße abbogen und einem Feldweg folgten.
»Schade, daß wir keinen Geländewagen haben. Vierradantrieb wäre hier sicherer. Fahr doch bitte ein bißchen langsamer«, sagte Norie zu ihrem Mann.
Ich mußte an den Range Rover der Kayamas denken, mit dem Takeo den Unfall gehabt hatte, und an den Leihwagen von Natsumi. Das Innere dieser Autos war vermutlich höchst luxuriös – Ledersitze, ein Armaturenbrett aus Walnußholz, ein CD-Player, also genau das richtige für ein Liebespaar, das eine Spritztour in den Wald machte. Ich fragte mich, ob Masanobu Kayama Lila jemals in sein Haus auf dem Land mitgenommen hatte. Soweit ich aus klassischen japanischen Romanen wußte, spielten sich Affären normalerweise auf neutralem Boden ab, zum Beispiel in einer Pension oder einem Teehaus, nicht aber dort, wo die Familie des Mannes lebte.
»Hast du mich denn nicht gehört, Rei?« riß Norie mich aus meinen Gedanken.
»Tut mir leid. Was hast du gesagt?« fragte ich.
»Ich habe dich gefragt, ob Mrs. Koda dir gesagt hat, wie sie zu dem Fest kommt. Der nächste Bahnhof ist zwölf Kilometer vom Haus der Kayamas entfernt. Hoffentlich holen sie sie ab. Ich hätte ihr ja angeboten, daß wir sie mitnehmen, aber unser Wagen ist leider voll.«
»Vielleicht kommt sie überhaupt nicht«, sagte ich. »Mrs. Koda hat mir gegenüber nichts von einem Fest erwähnt.«
»Verstehe. Nun, die Einladungen sind tatsächlich ziemlich spät eingetroffen. Normalerweise kommen sie einen Tag nach dem Beginn der Tokioter Kirschblütensaison, und der Termin für das Fest ist sieben Tage später. Aber zu Beginn der Kirschblüte sind in der Schule so schreckliche Dinge passiert, daß die Einladungen verständlicherweise erst später weggeschickt wurden. Und die Nummer, die man anrufen sollte, um das Kommen zu bestätigen, war keine von der Schule.«
»Wo sollte man sich denn sonst melden?« fragte ich.
»In den letzten Jahren hat man bei Mrs. Koda in der Schule angerufen, um zu sagen, ob man kommt, aber diesmal war es die Nummer eines professionellen Antwortdienstes. Keine Sorge, wir stehen alle auf der Gästeliste. Ich habe mich ein bißchen mit der jungen Frau am anderen Ende der Leitung unterhalten, und sie hat gemeint, daß es das größte Fest wird, das je veranstaltet wurde. Es sind mehr als zweihundert Zusagen eingegangen.«
Vermutlich hatte Takeo dem Antwortdienst den Auftrag gegeben, damit Mrs. Koda nicht zu stark belastet wurde. Trotz der vielen schlechten Dinge, die ich über ihn gehört hatte, mußte ich ihm doch zugute halten, wie sehr er sich um die alte Dame bemühte.
»Vater, wann warst du eigentlich das letzte Mal auf einem Fest der Kayamas?« fragte Tom.
»Hm, im letzten Jahr vor meiner Versetzung nach Osaka. Das muß jetzt drei Jahre her sein. Ja, genau. Aber das eindrucksvollste Fest fand damals statt, als Takeo und
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