Bittere Mandeln
ausgeschildert«, beklagte sich Hiroshi. »Letztes Mal haben wir da drüben auf der Wiese geparkt.«
»Takeo-san liegt so viel an der Umwelt, da ist es ihm sicher nicht recht, wenn die Autos auf der Wiese stehen«, sagte Tom trocken. »Ich fahre noch ein bißchen näher an das Haus ran. Vielleicht finden wir dann jemanden, der uns einweist.«
Aber wir entdeckten niemanden. Allerdings stand ungefähr ein Dutzend Wagen am Rand der Auffahrt. Ich erkannte Lila Braithwaite und Nadine St. Giles, beide in paillettenbesetzten Cocktailkleidern, wie sie gerade aus einem Mercedes ausstiegen und auf das Haus zugingen. Wußte Nadine von Lilas Affäre? Außerdem fragte ich mich, wer an jenem Abend auf die Braithwaite-Sprößlinge aufpaßte.
»Ich stelle den Wagen hier ab«, verkündete Tom. Nachdem wir alle ausgestiegen waren, streckte ich mich genußvoll. Die dicke Schleife des obi hatte mich gezwungen, die ganze Fahrt über kerzengerade zu sitzen.
»Schau mal. Ist das bei der Tür nicht Natsumi? Ich muß schon sagen, sie sieht auch heute noch keinen Tag älter als neunzehn aus«, meinte Onkel Hiroshi.
Ja, drüben zwischen den beiden hohen Schiebetüren stand Natsumi. Sie trug keinen Acht-Millionen-Yen-Kimono, sondern lediglich eine schwarze Jeans und dazu ein T-Shirt.
»Du hast gesagt, ich soll mich herausputzen!« sagte ich entsetzt zu meiner Tante. Wenn das hier eine Party mit lauter jungen, leger gekleideten Leuten werden würde, käme ich mir absolut lächerlich vor.
»Ich begreife gar nicht, warum sie sich so angezogen hat! Und sprich nicht so laut!« zischte Tante Norie mir zu.
»Ohairi kudasai« , rief Natsumi, die übliche höfliche Begrüßung für Gäste. Ihre Stimme klang undeutlich, und sie lehnte in der Tür, als müsse sie sich stützen.
»Sie ist betrunken«, sagte Hiroshi leise.
»Na und? Nach der Fahrt könnten wir alle was zu trinken vertragen«, murmelte Tom.
Berauscht inmitten von Gartennelken. Ich mußte an das Haiku denken, während wir in Richtung Haus schlenderten. Bald würde Lila mich sehen; hoffentlich würde die Situation nicht gar zu peinlich werden.
»Unser Haus ist nicht ordentlich geputzt, und ich fürchte, wir haben nicht das richtige Essen vorbereitet«, sagte Natsumi in atemlosem Singsang, als wir uns alle vor ihr verbeugten und das Haus betraten. In den meisten japanischen Häusern war der Eingangsbereich winzig, doch hier hatte der geflieste Raum Abmessungen von ungefähr neun mal sechs Metern. Über uns erhob sich eine kathedralenartige Decke mit schweren Balken. Dieses Haus war ziemlich ungewöhnlich für Japan. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als mit der Kamera in dem Beutel, der an meinem Handgelenk baumelte, Fotos zu machen. Aber ich würde warten müssen, bis in dem Eingangsbereich nicht mehr so viele Leute waren. Außerdem würde ich zuerst alles ein bißchen arrangieren, denn auf dem Tischchen lag zwar eine Zeitung, aber es waren nirgends Blumen zu sehen. Eigentlich hätte ich zumindest ein paar Zweige mit Kirschblüten erwartet, denn schließlich war dies hier ein Kirschblütenfest.
»Ich frage mich, wo die Bediensteten sind«, sagte Tante Norie leise zu mir, als wir die leichten haori- Seidenmäntel auszogen. Tom und Onkel Hiroshi trugen Anzüge, also brauchten sie nur aus ihren Schuhen zu schlüpfen. Natsumi suchte in einer langen, niedrigen Kommode herum und holte schließlich einige Paar geflochtener Bastslipper für uns heraus.
Ich zog meine zōri aus und die Slipper an, die nun vor mir auf dem polierten Eichenboden standen. Dann gingen wir alle in ein großes Empfangszimmer, das gemütlich mit niedrigen Stühlen und Sofas eingerichtet war. Auf einem hochglanzpolierten Tisch aus Zelkovenholz standen Schnapsflaschen und daneben ein Sammelsurium unterschiedlichster Gläser, darunter auch ein Plastikbecher mit einer Abbildung von Doraemon, jener Zeichentrickkatze, die mich nun schon den ganzen Tag verfolgte.
Ich mußte ein Lachen unterdrücken. Zumindest hätte ich befrackte Kellner erwartet, die den etwa vierzig bereits anwesenden Gästen Getränke reichten. Das Haus war wunderschön, doch die Vorbereitungen für das Fest erwiesen sich als so dilettantisch, daß sogar ich etwas Besseres zustande gebracht hätte.
Der einzige Lichtblick war der Kirschgarten, den man durch die drei Glaswände des Raumes sehen konnte. Die Bäume standen in voller Blüte und wurden von rosafarbenen Laternen ähnlich denen, die wir bei der Herfahrt gesehen hatten, sanft erhellt.
Im
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