Bittere Mandeln
und nun begann der eigentliche Kampf, nämlich das Wickeln des über drei Meter langen obi, einer Seidenbrokatschärpe, die sicher ersonnen worden war, um all jene zu verwirren, die schon mit einem Origami-Kranich ihre Probleme hatten.
Ich brauchte eine Stunde zum Anziehen und zwanzig Minuten, um mein Gesicht zu pudern und zu entscheiden, welcher meiner Lippenstifte gedeckt genug wäre, um mit dem Kimono zu harmonieren – schließlich entschied ich mich für einen, den der Hersteller »Erregung« genannt hatte. Das entsprach in etwa meiner Stimmung. Ich sehnte mich danach, mich noch ein wenig auf meinem Futon auszuruhen, doch die riesige, steife Schleife, die ich über meinen Hüften gebunden hatte, machte das unmöglich. Wie sollte ich so eingezwängt nach Izu kommen? Über diese Frage dachte ich gerade nach, als ich draußen ein Auto hupen hörte.
Tante Norie schlüpfte vom Vordersitz des Honda Accord, so daß ihr prächtiger purpurfarbener Seidenkimono mit den hauchfeinen Pflaumenblüten zum Vorschein kam. Ihr roter obi war mit Goldstickereien verziert. Norie wechselte auf den Rücksitz zu Tom. Ich versuchte, sie zu überreden, daß sie wieder den ihr zustehenden Platz vorne neben Onkel Hiroshi einnahm, doch sie weigerte sich.
»Dein Magen, Rei -chan. Vorne ist es besser für dich.«
»Na schön, danke.« Vermutlich erinnerte sie sich an die qualvollen Fahrten zum Biwa-See, als ich noch ein Kind gewesen war. »Wie lange werden wir brauchen?«
»Zwei Stunden. Denkst du, du hältst es so lange aus?« fragte Tom.
»Klar. Ich hab’ eine Tüte Cracker dabei, wenn mir flau im Magen werden sollte. Will jemand welche?« Ich hielt die Plastiktüte hoch, die ich im Family Mart gekauft hatte.
»Rei, da fallen lauter Krümel auf deinen Kimono. Du hast ihn sowieso zu locker gebunden. Man sieht deinen Nacken, das läßt dich wie eine Geisha wirken«, rügte mich meine Tante. Sofort beugte sie sich zu mir vor, um den Kimono enger um meine Brust zu schnüren, die bereits in so viele Schichten verpackt war, daß sie sich anfühlte wie ein harter Schild.
»Gut, daß du ein Taschentuch dabei hast, denn bei den Kayamas gibt es normalerweise die allerköstlichsten chirashizushi. Da wirst du dir vielleicht hin und wieder den Lippenstift abwischen müssen. Sie sind aus lockerem Reis mit kleingeschnittenen Frühlingszwiebeln, süßen Eiern und Shrimps. Jetzt, wo du wieder normal essen kannst, wird dir das sicher schmecken!« meinte Norie.
»Ich glaube nicht, daß Rei Lust hat, irgendwas von den Kayamas zu essen. Ich täte das an ihrer Stelle auch nicht«, sagte Tom.
»Sei nicht so unhöflich!« herrschte Onkel Hiroshi ihn an. Das waren seine ersten Worte, seit ich im Wagen saß. Was war bloß los mit der Familie Shimura?
Nach einer Stunde Fahrt wichen die schmutzigen, riesigen Gebäude Tokios und Kawasakis allmählich kleineren, weiter auseinander stehenden Häusern und schließlich hohen Kiefern. Nach einer weiteren Stunde erreichten wir die Halbinsel Izu. Die Landschaft hätte mit Sicherheit hübscher gewirkt, wenn der Himmel nicht so grau gewesen wäre. Im Radio wurde eine Sturmwarnung durchgegeben, doch bevor ich hören konnte, welchen Weg das Unwetter nehmen würde, schaltete Onkel Hiroshi auf einen Sender mit japanischen Oldies um. Als eine hohe Frauenstimme das beliebte Lied »Sakura« sang, schloß ich die Augen. Wenn es zu regnen anfinge, würden alle Kirschblüten weggewaschen, und wir könnten schneller wieder nach Hause.
»Das Haus liegt in den Bergen. Der Großvater des iemoto war klug, so weit draußen zu bauen. Jetzt ist die ganze Küste von Izu mit Villen und Souvenirläden zugekleistert. Es ist wirklich nicht mehr schön hier«, sagte Tante Norie.
»Und viel zu teuer«, fügte Onkel Hiroshi hinzu. »Für das Geld, das man für einen Blick auf verdreckte Imbißstuben zahlt, könnte man sich in Hiro eine Wohnung leisten!«
»Mrs. Koda hat eine Wohnung in Hiro«, sagte ich.
»Ach? Hat sie dich eingeladen?« fragte Norie.
»Ich bin neulich abends zum Tee bei ihr gewesen, weil ich mich für die Blumen bedanken wollte, die sie mir geschickt hat.«
»Du hättest sie zu dir einladen sollen. Rei, ich hoffe bloß, daß du dich nicht selbst eingeladen hast. Das mag in Amerika Sitte sein, aber in Japan gehört sich so etwas nicht.«
»Sie tut sich schwer mit dem Gehen, also wollte ich ihr den Weg zu mir nicht zumuten. Du weißt ja, wieviele Stufen die U-Bahn-Station bei mir hat …«
»Wie rücksichtsvoll von
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