Bittere Mandeln
Natsumi noch Teenager waren.«
»Ja, an die Party erinnere ich mich gut«, sagte Norie. »Takeo hat sich etwas mit Musik einfallen lassen …«
»In der Eingangshalle wurde klassische Musik gespielt, aber als die Musiker mit ›Sakura‹ fertig waren, hat er plötzlich ganz laut amerikanische New-Wave-Musik eingeschaltet.«
»Wirklich?« Ich mochte New Wave. »Und wie war Natsumi damals?«
»Sehr, sehr hübsch«, sagte Norie. »Sie trug einen Kimono aus der Sammlung ihrer Mutter, der angeblich mehr als acht Millionen Yen wert war. Seitdem habe ich sie nicht mehr darin gesehen.«
»Sie hat das ganze Fest über auf der Veranda geraucht. Es ist doch ekelhaft, wenn einer jungen Frau ständig eine Zigarette im Mundwinkel hängt. Du rauchst doch nicht, oder, Rei?« fragte Onkel Hiroshi.
»Nein! Na ja, natürlich hab’ ich’s als Teenager probiert, aber mir ist davon übel geworden.«
»Das hätte ich mir denken können«, kicherte Tom.
Die Sache mit dem Kimono interessierte mich. »Wo, denkst du, bewahren die Kayamas einen Kimono auf, der so viel wert ist? In einem Tresor?«
»Nein, nein, die Kayamas haben eine kura, ein richtiges Lagerhaus, für ihre Wertsachen. Sie haben es vor ungefähr zehn Jahren einmal für die Allgemeinheit geöffnet. Jeder Kimono wird in einem eigenen Lackkästchen aufbewahrt. Das ist alles sehr gut organisiert.«
»Genau wie die Archive in der Schule«, sagte ich.
»Woher weißt du von den Archiven?« fragte Norie. »Hoffentlich hast du den Leuten in der Schule keine Löcher in den Bauch gefragt.«
»Ich habe eine Tour mitgemacht«, sagte ich, steckte einen Cracker in den Mund und begann zu kauen.
»Ich habe den Eindruck, daß Rei übel ist, wir sollten sie nicht zum Reden zwingen«, sagte Tom. »Wie wär’s, wenn wir den Rest der Fahrt schweigen?«
»In welche Richtung muß ich jetzt?« wollte Onkel Hiroshi wissen und blieb am Ende des Feldweges stehen.
»O je, jetzt habe ich vor lauter Reden nicht aufgepaßt. Ich glaube, wir sind an der Abzweigung vorbeigefahren. Aber hier habe ich mich noch nie so richtig ausgekannt«, erklärte Norie.
»Ja, dein ständiges Geplapper hat mich abgelenkt«, sagte Onkel Hiroshi.
»Vater, ich kenne diese Gegend. Ich würde dich bitten, mich ans Steuer zu lassen«, schaltete sich Tom ein.
»Na schön. Du kannst sowieso alles besser.« Onkel Hiroshi löste seinen Sicherheitsgurt, drückte die Tür mit Schwung auf und stieg aus. Tom wechselte auf den Vordersitz. Nun saßen die Jungen vorne und die Älteren hinten. Wie merkwürdig.
Tom wendete den Wagen. Die Straße war so schlecht, daß kleine Steine unter den Rädern hochspritzten, und so uneben, daß mir gut und gern hätte übel werden können, doch Tom fuhr mit langsamem, gleichmäßigem Tempo die drei Kilometer bis zur letzten Weggabelung zurück.
»Ja, genau, da geht der richtige Weg ab«, sagte Norie. »Die Einfahrt ist so unauffällig, daß man sie leicht verpassen kann. Aber schau, da vorn hängen überall hübsche rosafarbene Laternen in den Bäumen. Und vor uns fährt ein anderer Wagen! Hier sind wir richtig.«
Die Schlußlichter des Wagens vor uns verschwanden hinter einer Gruppe hoher Eichen. Tom beschleunigte nicht, und so war der Wagen, als wir um die Kurve bogen, verschwunden.
»Folge einfach den Laternen«, sagte Norie. »Die führen uns bestimmt auf die Seite des Hauses, wo sich der Garten befindet.«
Wäre es doch bloß nicht so dunkel gewesen! Vielleicht fuhren wir gerade an Takeos experimentellem Garten vorbei, aber das war schwer zu sagen. Man konnte lediglich weite Felder und zahllose Bäume erahnen. Das Gefühl von so viel Raum hatte ich in Japan noch nie zuvor gehabt.
»Siehst du? Da wären wir!« rief Norie.
Vor uns lag eine weitläufige Villa, die im Stil des frühen zwanzigsten Jahrhunderts gebaut war. Sie war, was in Japan selten ist, aus Stein, hatte aber ein traditionelles Ziegeldach. Ein ausgesprochen interessanter Anblick. Schon hatte ich die lange, unbequeme Autofahrt und meine Ängste hinsichtlich der bevorstehenden Party vergessen. »Tante Norie, hast du die Kamera dabei? Ich muß das unbedingt fotografieren!«
»Ja, ja.« Sie reichte mir einen hübschen kleinen Seidenbeutel, der ziemlich schwer war. »Du kannst meine Nikon nehmen, da mußt du einfach nur draufhalten und abdrücken, neh? Aber bitte verknips nicht den ganzen Film. Ich würde mich auch gern vor den berühmten Kirschbäumen fotografieren lassen.«
»Sie haben den Parkplatz nicht
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